Mit der Uniklinik hier in Freiburg isses schon so ein Kreuz.

Gerade komme ich von der (hoffentlich) letzten OP – im Zusammenhang mit meinem Unfall – zurueck. Tja, was soll ich sagen?
“Same Procedure as last year?”
“Same Procedure as every time!”

Naja, ein wenig anders, als sonst war es schon, denn sonst würde ich nicht darüber berichten.

Im Vorfeld das Übliche: die OP wurde zwei mal verschoben. Auch wenn ich das ja mittlerweile kenne und mich daher gleich darauf einstellen könnte, finde ich es ziemlich nervig. Ebenso wie das Anaesthesiegespräch, das immer gleich abläuft – auch wenn ich dieses Mal nur eine Plexusanesthesie bekomme (also Teilnarkose nur am linken Arm und somit bei vollem Bewusstsein operiert werde).

Nach EKG und Blutdruck wird während des Anästhesiegesprächs auch der Puls gemessen: 56
Das kommt davon, wenn ich mich aufrege – so einen hohen Puls habe ich beim Autofahren auch, wenn vor mir ein Idiot den Verkehr aufhält.

Die Anaesthesistin ist etwas verwundert und checkt mich weiter durch – diesmal am Monitor anhand einer Röntgenaufnahme meines Thorax.

“Sie haben ein grosses Herz”, beginnt sie ohne den Blick vom Monitor zu nehmen.
“Ja, ich bin ein guter Mensch”, antworte ich grinsend.
[einundzwanzig, zweiundzwanzig, dreiun…]
Die Anaesthesistin blickt mich glubschäugig an und über ihrem Kopf erscheint ein riesiges Fragezeichen. Naja, auch das ist nichts Neues, dass man hier für meine Art Humor unempfänglich ist.

Die OP selbst war unterhaltsam. Nicht weil man mir viele lustige Drogen gegeben hatte, sondern weil der Anästhesist (der natuerlich keinesfalls mit der Person beim Anaesthesiegespräch identisch war) – ein aus dem schwarzafrikanischen Gabun stammender älterer Herr, namens Dr. Kalash (wie Niko Kalaschnikow) – lustige Schwänke aus seinem offenbar sehr bewegten Leben erzählte.

Durch einen kleinen, unbedeutenden Fehler der OP Schwester war ein grosser Fernseh-Monitor (gut 80 Zoll) an der Decke so ausgerichtet, dass ich die OP live sehen konnte. Die Kamera zoomt auf meine Hand bis der Handrücken den gesamten Bildschirm ausfüllt. Ein silbernes Etwas taucht plötzlich am Bildrand auf und zieht eine kurze, gerade Linie. Ich sehe zu, wie man MEINEN Handrücken aufschneidet. Das kleine Tatoo dort verdeutlicht mir, dass hier nicht etwa Discovery-Channel läuft, sondern dass es sich tatsächlich um meine Hand handelt – ausserdem, hatte ich das Kamerasystem schon vor Beginn der OP entdeckt.

Es fällt mir äusserst schwer dafür Worte zu finden und meine Gefühle zu beschreiben – aber interessant fand ich es trotzdem. So eine Show bekommt man ja nicht alle Tage – auch wenn der Kommentator (der Anaesthesist) von irgendwelchen exotischen Bräuchen in seinem Dorf in Gabun erzählt, während Dr. AlJamali (der hiess tatsächlich so und erinnert mich irgendwie an AlJazzeera …) an meiner Sehne herumfuhrwerkte.

Dann plötzlich:
Mitten in der OP, die eigentlich die Materialentfernung in meiner Linken Hand als Schwerpunkt und obersten Missionsparameter hat, beugte sich Dr. AlJazzeera über den grünen Vorhang, der uns bislang trennte, stellte sich vor und begann: “Guten Tag Herr -m*sh-, mein Nam ist AlJawahli und ikch ‘abe Ih’e Sehne jetzt besse’ positionie’t. Sie dü’ften nun keine Besch-wae’den meh’ haben. Wenn ikch jetzt wiede’ zunähe ist alles vo’bei und gut. Besse’.”

Keine Ahnung, warum ich den Mann überhaupt ausreden liess – muss wohl am Dormicum gelegen haben.
Diese Diskussionen führe ich mit den Leuten auf der plastischen Chirurgie nun seit neun Monaten. Ein halbes Dutzend Physiotherapeuten, die mich zwischenzeitlich in der Mache hatten, war einhellig der Meinung, dass nur die Entfernung des Materials noch eine moegliche Verbesserung bringen könnte. Nur die Ärzte hier an der Uniklinik sträubten sich mit allen Mitteln und versuchten mich mit Halbwahrheiten einzuschüchtern und versuchten ein ums andere Mal, mir die Materialentfernung auszureden.

UND JETZT FÄNGT DIESER WAHNSINNIGE AN, MITTEN IN DER OP, DIESE DISKUSSION NEU AUFZUROLLEN AAAAAARRRRRGGGGHHH!!!

Für den Bruchteil einer Sekunde glaube ich, in die Hände einer extremistisch, fundamentalistischen Schläferzelle gefallen zu sein.

Im Laufe der nun hitzig geführten Diskussion zwischen mir und Dr. AlJazzeera schnallte dieser ansonsten offensichtlich etwas begriffsstutzige Gastarzt aus Gambia, dass ich ja den Monitor sehen konnte, worauf stante pede ein Disput zwischen Dr. AlJazzeera und der OP-Schwester folgte, die in seinen Augen für den einwandfreiem Zustand des OP-Saals zuständig ist. Seines Erachtens ist es grob fahrlässig, wenn der Patient die OP verfolgen kann, weil dann Übelkeit oder ähnliche Unpässlichkeiten den Patienten in einen kritischen Zustand bringen koennten.

Man stelle sich vor.

Dr. Kalaschnikow war keine grosse Unterstützung für mich in dem nun chaotisch ausartendem Disput zwischen mir und der OP-Schwester, die mittlerweile den Monitor um 180° gedreht hatte, womit sich mein Unterhaltungsprogramm auf It’s A SONY beschränkte.
-m*sh-: "Ich will aber zuschauen."
Schwester: “Nein, das geht nicht.”
-m*sh-: "Ich will aber."
Schwester [genervt]: “NEIN.”
Dr. AlDjazzeerah: “Und Sie wollen wi’glich, dass ikch diese Pladde jetzt entferne?”
-m*sh-: "JJJJJAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAA!!!!!!!!!!!!!!!!!!"

Schwester und Arzt verschwinden wieder hinter dem grünen Tuch und ich komme mir in diesem Moment verdammt wehrlos vor. Sehe nicht mal mehr, was die da machen. Hoffentlich zeigt man mir hinterher Röntgenbilder, auf denen ich sehe, dass wirklich alles draussen ist.

Langweilig wurde es aber trotzdem nicht, da sie den Ton nicht abgedreht hatten. Dr. Kalaschnikow erzählte gerade von seiner Tochter, die in München Medizin studiert und eine bahnbrechende Entdeckung gemacht hat. So unterhielten wir uns über Patentanwälte, Erfinderbörsen und dergleichen …

Was glaubt der Mann eigentlich? Wenn ich mit bahnbrechenden Erfindungen schon erfolgreich Kohle gemacht hätte, wäre ich vermutlich kein Kassenpatient. Trotzdem verabschiedete er sich nach der OP von mir mit den Worten: “Es war sehr unterhaltsam mit Ihnen zusammenzuarbeiten.”

-m*sh-: "Dem kann ich nicht widersprechen."

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-m*sh- [sarkasmus inside]

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  1. Trithemius says:

    O Mann, was du alles durchmachst. Hoffentlich bringt die Operation was.
    Ehrlich gesagt, hätte ich die OP nicht beobachten wollen. Irgendwie stelle ich es mir unangenehm vor, den Ärzten auf die Finger zu sehen, während sie an einem herumschnibbeln.

    Gute Besserung, auf dass du endlich deine Beschwerden loswirst.
    Jules

    • sha-mash says:

      Danke für die Besserungswünsche. Ja, auch ich hoffe, dass die Physiotherapeuten recht behalten und der Eingriff eine Verbesserung bringt.
      Mit den motorischen Störungen (und Schmerzen) moechte ich nicht den Rest meines Lebens zubringen (zumindest nicht wenn es nicht anders geht).
      Nee, also das Zuschauen war schon sehr STRANGE. Aber auch interessant.
      -m*sh-

  2. deleted user says:

    Und dieser Unterhaltungswert, den das Sozialsystem trägt, soll nun wirklich ein Ende haben? Es wird doch wohl noch einige systemerhaltende Nachuntersuchungen mit Dr. Kalaschnikow und Schwester Großherz geben?

    • sha-mash says:

      Den Anaesthesisten (Dr. Kalash) werde ich wohl (hoffentlich) nicht mehr sehen. Mit Dr. AlJazzeera hingegen habe ich noch einen Termin – ob das aber so lustig wird, wie mit Dr. Krischak, bleibt abzuwarten.
      -m*sh-

      • deleted user says:

        Ja, wie auch immer wünsch ich dir zur Genesung alles Gute. Geduld und Humor hast du lange genug bewiesen. Ärzte sind ein eigenes Volk, da braucht man als Patient sehr gute Nerven.

  3. Ich bin auch so eine, die immer alles sehen muss! Kann ich gut nachempfinden. Ich wünsche Dir alles Gute, toi, toi toi – jetzt muss es einfach was werden. ES MUSS!

    Obwohl – ich lese Deine Krankenhaus Berichte zu gern, Du schreibst sie so anschaulich und doch muss man zwischendurch immer lächeln – schade, dass ich künftig daraufverzichten muss – hast Du schon mal daran gedacht als Kolumnen an eine Zeitung zu geben?

  4. Hi mash,
    also zuschauen hätt ich nicht wollen, da wär ich in Ohnmacht gefallen. Überhaupt bin ich da ne ziemliche Mimose, weil ich noch nie im Leben ernsthaft verletzt war vielleicht. Wenn ich dann eine Wunde habe steh ich immer kurz vorm Tod.
    Merkwürdiger Weise kann ich an den Tieren herumoperieren, da hab ich ja schon viel gesehen, das macht mir gar nichts. Aber selbst bei anderen Menschen verpassen mir Verletzungen einen Stich.