Mein ehemaliger Blogfreund Trithemius, schrieb kürzlich einen Blogeintrag, der mich zu einem Kommentar veranlasste. Doch twoday.net hat anscheinend aehnliche Probleme, wie blog.de – ich konnte den Kommentar jedenfalls nicht loswerden. Die Gedankenkette, die sich bei mir jedoch in Bewegung setzte, moechte ich auch meinen Lesern nicht vorenthalten:

Zitat aus Teppichhaus Trithemius

Wenn der Blaustein der Eifel verwittert, wird er hellgrau. Die Treppenstufe des Hauses Nr. 3 in einer Aachener Straße ist gewiss einige hundert Jahre alt und glänzt in ihrer Mitte trotzdem wie poliert in mattem Blau. Viele Füße haben diese Schwelle ausgetreten, haben sie ausgeschliffen und wundersam verformt. Wem gehörten die Füße? Wer waren diese Menschen, und welche Schicksale führten sie hinein und hinaus? Die Geschichte jedes einzelnen ist verweht wie das Stäubchen, das der Fuß von der Stufe nahm.

Dieses Bild von den Menschen, die die Treppenstufe abgetreten haben, finde ich hochinteressant.

Es erinnert mich naemlich an die Frage, die ich mir auch immer stelle, wenn ich an historischen Staetten bin. Bspw. wenn ich im Colloseum oder auf der Akropolis Stufen hinaufsteige.
Schnell komme ich dann zu der Frage, wie diese Menschen wohl ihren Alltag erlebten; dies ist naemlich ein Faktor den man in den Geschichtsbuechern nicht lernt. Alexander der Grosse gruendete ein Weltreich; die Inkas beteten die Sonne an, etc.
Doch ein Weltreich gruendet man ja nicht abends beim Wein im Kaminzimmer – und wer zum Teufel sind eigentlich die Inkas? Da fuehren zigtausende Menschen Kriege. Da werden Briefe von Boten ueberbracht, die – fuer die damalige Zeit – unglaubliche Strecken zuruecklegten u.v.m. Doch wie haben die Menschen die Kriege und die Machtspielchen damals erlebt, die Reisen oder einfach nur den Alltag – ohne TV-Nachrichten, Radio und andere Medien?
Wie haben diese Menschen gelebt?
Welche Entscheidungsfreiheit hatten sie? Und – fühlten sie sich unfrei?

Fazit: Wir lernen nicht, wie die Menschen gelebt haben, wenn wir die Geschichte studieren – auch wenn wir dadurch die grundlegenden Strukturen der kulturellen Entwicklung kennenlernen. Doch wenn wir die Literatur (eines Volkes) studieren, so muessen wir den historischen Kontext einbeziehen, um dem Werk die entsprechende Bedeutung beimessen zu koennen.
Okay, zeitgenoessische Literatur ist diesbezueglich sicherlich etwas anspruchsloser, da wir den historischen Kontext gewissermassen verinnerlicht haben. Doch die meisten Texte, von den Aegyptern bis hin zur industriellen Revolution, erfordern zu ihrem Verständnis auch eine gewisse Kenntnis der Lebensumstände und des Weltbildes, das zum fraglichen Zeitpunkt vorherrschte.
Ist ein Text satirisch gemeint? Ist der Inhalt sozialkritisch, oder gar ein Affront gegenüber den jeweiligen Herrschern?

Vielleicht ist auch die Atlantis-Sage, wie sie von Platon beschrieben wurde, lediglich eine Art Satire, ein Blogeintrag, eine ironisch überspitzte Lobhudelei auf ein arrogantes Inselvolk. Damals waren so Stier-Shows ja so richtig In, bei den Menschen im antiken Griechenland. Wenn man dann schreibt, dass es da ein Volk gibt, das so reich ist, dass praktisch immer und ueberall eine Stier-Show stattfindet und jeder seine eigene Stier-Show hat, dann hat 450 v. Chr. in Griechenland jeder gelacht.

Eine Analogie wäre die USA: die sind so reich, dass mehr als die Haelfte der Menschen zu dick ist und die meisten haben eine Waffe um ihren Kühlschrank zu verteidigen – aber sie erobern den Mond fuer sich ganz alleine! Erzähl’ das mal jemand.

Für das späte Mittelalter und die Renessaince gilt sicherlich, dass die Lebensumstände der Menschen damals, sowie das entsprechende Weltbild mit ein wenig Mühe erkennbar sind. Doch fuer die Zeit vor Karl dem Grossen würde ich
a) behaupten wollen, dass wir gar nicht in der Lage sind, die jeweiligen Aussagen so mancher Texte richtig zu deuten
b) sehr vorsichtig sein, wenn man die Texte wörtlich nimmt.

hit any key 2 continue
-m*sh- [hirnschmalz inside]

  1. Trithemius says:

    Am Sonntag besuchte ich das Aachener Zeitungsmuseum, wo man zur Zeit Zeitungen und Dokumente zur Heiligtumsfahrt ausstellt. Eine Mitarbeiterin des Museums sprach auch über eine Notiz aus der Zeit Karls des Großen, dass man aus Jerusalem verschiedene Reliquien bekommen habe. Darauf gründet sich die Idee der Echtheit der Reliquien. Im 8. Jahrhundert war man so weit von Christi Geburt weg wie wir vom 13. Jahrhundert. Selbst die heutige Forschung weiß vieles nicht mehr zu erhellen, was im 13. Jh. geschah. Wie wenig erst wusste man im 8. Jahrhundert vom Jahre 33 der Zeitrechnung?
    Doch auch den Beginn der Neuzeit kennen wir nur vage. Die Museumsmitarbeiterin erzählte auch, Gutenberg habe in Straßburg Spiegel für die Heiligtumsfahrt hergestellt. Das ist so nicht richtig, denn die Spiegel hat er ein Jahr zu früh gemacht, und erst danach ist er nach Straßburg gegangen, wo er den Buchdruck erfand.
    http://abcypsilon777.blog.de/2005/12/26/das_sonntagswort_uber_spiegel~416938
    Doch da aus Gutenbergs Leben nur wenige Dokumente aufzufinden sind, ist vieles unsicher. Der Besucher des Zeitungsmuseums geht hingegen nach Hause und hat seinem Geschichtsbild ein neues Element zugefügt, egal, ob es richtig oder falsch ist. Genau betrachtet, geht es uns im Alltag ständig so, auch in Bezug auf gegenwärtige Ereignisse. Denn an den meisten nehmen wir nicht persönlich teil. Doch auch da, wo wir selbst beteiligt sind, ist die Wahrnehmung oft eine Falschnehmung, die wir nur im Abgelich mit dem anderen relativieren können.

    Beste Grüße
    Jules

    P.S.: Was heißt eigentlich “ehemaliger Blogfreund”? Von “ehemalig” weiß ich nichts.

    • sha-mash says:

      Zum Thema ‘ehemalig’: das Wort scheint mir unbewusst herausgerutscht zu sein – und verfaelscht natuerlich die Aussage.
      -m*sh-

    • sha-mash says:

      Wir assoziieren bei den Begriffen, die wir wahrnehmen. Allerdings, assoziieren wir nur das uns Bekannte. Ein mir bekannter Kunstsammler produziert uebrigens das gleiche Phaenomen: durch die Sammlung und Anhäufung geschichtsträchtiger Gegenstände, wird alles in einen völlig neuen Kontext gerückt und sinnentleert. Da steht das Klavier von Kaiserin Sissi neben der Aktentasche, von Einstein … und der Proviantdose von Adolf Hitler (mit echten Initialen).

      Kaiserin Sissi, könnte man noch leugnen, bei Albert Einstein wird es zumindest unter wissenschaftlichen Aspekten sehr schwer, aber Hitler zu leugnen ist nicht nur politically incorrect sondern strafbar – zumindest wenn man seine Taten, wie den Holocaust mit einbezieht.
      Dann steht man plötzlch vor der Frage, ‘wie real ist Geschichte?’
      -m*sh-

    • deleted user says:

      Guter Mann, weil du deine Blogfreunde alle aus deiner Liste gestrichen hast und das nehme ich dir zum Beispiel sehr krumm. Aus diesem Grunde finde ich “ehemalig” sehr passend und unterstreiche ich auch! (Eigentlich hab ich mir geschworen, dich nicht mehr direkt anzuschreiben, aber das musste ich doch loswerden, wenn die anderen schon nichts sagen und stattdessen die Schönwettertapete im Wohnzimmer aufziehen.)

      • Trithemius says:

        Du könntest es auch andersrum sehen. Der “gute Mann” hat euch nicht gestrichen, sondern sich nach der Schließung seines Blogs aus euren Listen zurückgezogen. Denn ich kam nicht davon los, bei euch zu lesen, brauchte aber ganz dringend eine Blogpause, weil mir viele Angriffe zu nahe gingen. Konkret habe ich meine Freundschaftsliste gelöscht, nachdem mich in der Nacht eine heftige anonyme Beschimpfung erreicht hatte.
        Es tut mir leid, wenn du mir das krumm nimmst, Lilly.

        • deleted user says:

          Und da hat es zu einer kurzen Info nicht mehr gereicht?
          Ich nehme es dir krumm, aber die anderen nicht und das ist auch in Ordnung.
          War nett dich wieder einmal anzutreffen!
          :wave:

          • Trithemius says:

            Naja, ich hatte in zwei oder sogar drei privaten Einträgen an die Freunde erklärt, warum ich mich zurückziehen musste. Irgendwann muss dann auch Schluss mit dem Erklären sein, sonst will das doch keiner mehr lesen.

          • Trithemius says:

            Übrigens: Krumm nehmen, ist ja ein aktiver Akt. Man kann auch etwas krumm nehmen, was vorher gar nicht krumm war.

  2. immekeppel says:

    ein problem der textrezeption vergangener zeiten dürfte auch sein, dass schrift nur bestimmten kreisen überhaupt zugänglich war und diese sie vornehmlich auch strategisch nutzten (heute natürlich auch – man denke nur an die steuerung der öffentlichen meinung durch einseitige oder überbetonte medien-berichterstattung)

    will sagen, literarische texte können erst ab einer gewissen zeit auskunft über die damaligen allgemeinen lebensumstände geben, nämlich erst, als lesen und schreiben massenmedium wurde – also eine weile nach der erfindung des buchdrucks.

    vorher sind wir dann doch eher auf andere quellen wie die der ethnologie oder archäologie angewiesen

    • sha-mash says:

      Hmmm, ich wollte nicht von dem Text auf die Lebensumstaende schliessen, sondern zum Ausdruck bringen, dass Inhalt und Aussage eines Textes nicht erfassbar sind, wenn die damaligen Lebensumstaende der Menschen nicht bekannt sind.

      Aber du hast latuernich recht: die Lebensumstände früherer Generationen können wir nur mutmassen, wobei die Archäologie gar nicht und die Ethnologie nur bedingt weiterhilft, was das Gedankengut der damaligen Menschen angeht.

      Der Tatsache, dass Schrift nur bestimmten Kreisen zugänglich war muss man insofern bei der Interpretation Rechnung tragen, dass Texte ja ausschliesslich für bestimmte Bevölkerungsschichten geschrieben wurden.
      -m*sh-