Elternabend 2.0

Posted: 16th December 2019 by mash in Realsatire, Unterhaltung

In meinem anderen Bericht habe ich ja bereits über das Leiden berichtet, wenn man als Eltern den alljährlichen Elternabend der Schule durchzustehen hat.
Aber irgendwann ist man richtig erwachsen; die Kinder sind aus dem Haus und man denkt, man hat seine Ruhe.
Ich habe mich recht sicher gefühlt. Weit weg. In Spanien – weg von der deutschen Mentalität.
Alles schön warm hier – meistens. Heizkosten sind zu vernachlässigen und da wir nur 5-20 Tage im Jahr mit ein wenig Regen haben, braucht man auch kein Jack Wolfskin Zeugs. Die Welt war in Ordnung.

Bis zu diesem Tag im November, als ich einen kleinen bedruckten Zettel in meinem Briefkasten fand. “Convocatoria” stand da in fetten Lettern als Überschrift. Gefolgt von “Jueves, el 5 de Diciembre – 17 horas en el atrio”.
Eigentümerversammlung im Innenhof der Anlage. Hmmm.
Wer hatte sich dieses Datum ausgedacht? Ausgerechnet vor der “Superpuente”, dem Super-Brückentag. Der 6. und der 8. Dezember sind die höchsten Feiertage in Spanien. In dieser Woche machen alle ‘blau’ und man fährt schon mal zur Verwandschaft um für Weihnachten zu üben. Beginn war um 17.00 Uhr und wenn keine beschlussfähige Mehrheit anwesend ist, wird die Beschlussfähigkeit auf die um 17.30 Uhr (bei einer Art Notsitzung) Anwesenden übertragen.

Der 5. Dezember war dieses Jahr ein äusserst ungünstiger Termin. Eine Stunde vor Sonnenuntergang. Vor meinem geistigen Auge sah ich mich im Innenhof bei einem Wein neben den Nachbarn, die Kamera im Anschlag, falls zum Sonnenuntergang ein paar spektakuläre Motive auftauchen. Irgendeine Nachbarin hat ein paar Tapas gerichtet … ach, das Leben könnte so schön sein.

Nun, an diesem Donnerstag regnete es. Es regnete nicht viel, aber schon seit Tagen immer wieder. Irgendwie war mir klar, dass das keine entspannte Veranstaltung wird.
Ich habe mir also was warmes angezogen und wenn das nicht reichen sollte, konnte ich mir innerhalb zwei Minuten noch etwas holen.
17.00 Uhr Ground Zero – Innenhof, der Bungalowanlage. Der Regen hatte soeben aufgehört.
Carmen (Namen geändert) steht erwartungsvoll am Eingang von Innenhof mit einem Clipboard.
Carmen schaut mich fragend an, ‘¿Convocatoria?’
“¿Que tal?”, antworte ich.
“Mira…” , schau mal, sagt sie und beschreibt mit ihrem linken Arm einen Halbkreis; niemand da.
“Nos vemos a las 5 y media.” (wir sehen uns um 17 Uhr 30)
Schade, bis dahin wird der Regen sicher wieder einsetzen, denke ich. Niemand hatte Zeltlinge oder ähnliches aufgestellt und Carmen hat auch nicht angeboten, dass wir das bei ihr zu Hause machen können, wenn sonst keiner kommt.

Okay, ich trolle mich in meinen Bungalow zurueck und denke noch, wie geil es gewesen waere nach all dem Regen der letzten Tage, wenn wir puenktlich angefangen haetten – typisch deutsch halt.


Kurz vor 17.30 Uhr kommt Carmen zu mir und macht mich darauf aufmerksam, dass es regnet, aber wir nun beginnen, weil eine beschlussfähige Mehrheit zustande gekommen war.

Ich schnappe meine Tasche mit den Unterlagen und trabe hinter Carmen zum Atrio. Vier weitere Damen stehen auch da. Man kennt sich, man gruesst sich.
Zunächst ein paar Formalitäten. Carmen liest aus Papieren vor deren Inhalt bereits allen bekannt ist.
Es tröpfelt.
Bevor wir bei den Tagesordnungspunkten ankommen, bringt Gladys (es gab eine Zeit, da waren die Spanier total verrückt nach amerikanischen Namen) einen zusätzlichen Punkt auf die Tagesordnung. Ein Antrag auf eine höhere Mauer auf ihrem Grundstück.

Meine Erwartung: Schnelle Abstimmung – Mehrheit – Zack!
Fünf Spanierinnen: Diskutieren.

Ich beginne Regentropfen zu zählen. Etwa alle zwei Sekunden spüre ich einen.

Die Damen diskutieren lange. Carmen fragt mich ob ich verstehe, was hier vorgeht?
Angesichts des einsetzenden Regens sage ich ‘ja’. Selbstverständlich verstehe ich das meiste, auch wenn 5 Spanierinnen durcheinanderreden. So machen die das im Radio hier auch. Sprechen alle gleichzeitig.
ABER ICH MAG DAS NICHT!!!!
Schon gar nicht wenn es regnet. Ich warte also darauf, dass die Mädels zu Potte kommen und das mit der Mauer beschliessen.
“Wir brauchen eine Baugenehmigung von der Gemeinde”, wirft Almudena plötzlich in den Raum. Dieser Satz löst ein Geschnatter aus, dem auch ich nicht mehr folgen kann. Der Regen ist etwas stärker geworden, was den Versuch, Regentropfen zu zählen, zum Scheitern verurteilt.

Schliesslich wird dieser Antrag angesichts der fehlenden Baugenehmigung fallen gelassen. Und man kann zum ersten Tagesordnungspunkt übergehen. Gladys beklagt mürrisch, dass das Einholen der Baugenehmigung nun ihr Job ist (logisch sie will ja die Mauer).
Die ersten vier Tagesordnungspunkte sind schnell abgehakt. Laufende Kosten werden aufgeschlüsselt, der Kontostand wird abgenickt.
Stromkosten könnten gespart werden, wenn die Lampen der Aussenbeleuchtung auf Solar umgestellt würden.
Ich unterstütze diesen Vorschlag, aber der Einwand von Carmen, dass die Umrüstung viel Geld koste und eine Amortisation erst in einigen Jahren möglich ist, führt erneut zu einer Diskussion, bei der alle durcheinander reden. Der Regen lässt ein wenig nach, das Geschnatter nicht.

Der Punkt wird vertagt, weil niemand die Kosten kennt. Bei der nächsten Convocatoria soll ein Beschluss gefasst werden, wer ein Angebot einholt.
Der nächste Tagesordnungspunkt entfällt, weil der Zettel auf Carmens Clipboard durchnässt ist und der grösste Teil damit unleserlich geworden war.
Dann kommt ein Thema auf die Tagesordnung von dem ich schon mehrfach gehört habe, das aber eine derartige Schnapsidee darstellt, dass ich hoffte, wir würden damit schnell durch sein. Vor allem, nachdem jedwede Entscheidung oder Abstimmung zu irgendwelchen Punkten bislang auf das nächste Jahr vertagt wurde, ging ich davon aus, dass dieser Punkt nun ebenfalls verschoben wird. Es war mittlerweile nach 18.00 Uhr, die Sonne war untergangen, es wurde Dunkel und wir waren alle nass und fröstelten.

Es geht um eine Schranke am Eingang zu unserer Strasse, die eine Sackgasse ist und aufgrund der zentralen Lage auch von nicht-Anliegern zum Parken benutzt wird, was dazu führt, dass wir Anwohner oftmals keinen Parkplatz finden.
Alle ausser Gladys und Mercedes wollten den Punkt abhaken. Doch Gladys fummelte ein Tablet aus ihrer Handtasche und begann mit einer beeindruckend gut gemachten Powerpointpräsentation, die dann aber schlagartig abbrach, als die Netzwerkverbindung ausfiel.
“Siempre con la lluvia…”, fluchte Gladys und wieder schnatterten alle Damen durcheinander und beklagten sich über die miese Netz-Anbindung in unserer Anlage, während zwei Strassen weiter bereits Fibraoptica mit sensationellem Datendurchsatz verfügbar war.
Ich hatte mich mit dem Thema “Schranke” noch nicht wirklich beschäftigt, aber falls ich noch Argumente dagegen gebraucht hätte, wäre ich hier gut versorgt worden. Um eine reine Anliegerstrasse aus unserer Sackgasse zu machen, müssen wir für 87.000€ die Strasse der Gemeinde abkaufen und künftig für Re-asphaltierung und Markierungen (Parkplätze, Zebrastreifen etc.) selbst aufkommen. Die Schranken und die Funksysteme (damit wir Anwohner die Schranken öffnen können) kosten laut presupuesto ca. 25.000€. Unsere Gemeinschaft kann das nicht alleine entscheiden, sondern nur gemeinsam mit den drei anderen Eigentümergemeinschaften die in dieser Strasse Eigentum haben.
Vor meinem geistigen Auge sehe ich eine Szene in der etwa 50 Spanierinnen und ich draussen am Zebrastreifen sitzen und versuchen einen Beschluss zu fassen. Aaaaargh!! Zumindest stellt sich mein geistiges Auge eine Szene mit besserem Wetter vor.
Ich überschlage kurz: Unser Kontostand beträgt 2.400€. Kosten für die Schranke ca. 110.000€ – ohne laufende Kosten. Bei 50 Wohneinheiten müsste also jeder Eigentümer etwas mehr als 2.000€ in die Schranke investieren. Dazu kommen dann höhere jährliche Gebühren für die Eigentümer. Angesichts des wilden Geschnatters um mich herum, glaube ich nicht daran, dass in einer Zusammenkunft aller Eigentümer ein klares Ergebnis für diese Schnapsidee zustande kommt.
Ich äussere diesen Gedanken laut.

Wie durch ein Wunder hört der Regen schlagartig auf. Stattdessen prasseln mir unverständliche Sätze entgegen weil alle durcheinander reden.

Schliesslich ergreift Carmen das Wort und fordert lautstark, diesen Punkt auf die nächste Versammlung zu vertagen. Alle stimmen sofort zu.
Das hätte man schneller haben können.

Es folgt der letzte Tagesordnungspunkt. Die Wahl des Präsidenten der Eigentümergemeinschaft. Es ist Gesetz in Spanien, dass eine Eigentümergemeinschaft einen Präsidenten haben muss. Carmen hat das in den letzten Monaten nur gemacht, weil sich kein anderer gefunden hat und erklärt kategorisch, dass sie für dieses Amt nicht mehr zur Verfügung steht.
Ich erinnere mich dunkel an die Elternabende, als die Kinder noch in der Schule waren.
Gladys kann den Job nicht machen, weil sie aus beruflichen Gründen kaum zu Hause ist. Mercedes hat keine Zeit, weil sie sich um ihre Enkel kümmern muss und Almudena fühlt sich ausser Stande, weil sie schon jetzt kurz vorm Nervenzusammenruch steht. Noch bevor Miriam sich verweigern kann dreht Carmen völlig durch.
“Das habe ich gewusst!”, schreit sie. “Der ganze Scheiss bleibt wieder an mir hängen. Ihr seid alle so gemein zu mir. Ich fühle mich ausgenutzt von Euch. Ich werde das Haus verkaufen, dann werdet Ihr schon sehen!!”
Noch theatralischer geht es vermutlich nur in den Filmen des spanischen Filmemacher Almodovar (Mujeres al borde de de un ataque de nervios – Frauen am Rande des Nervenzusammenbruchs).
Unter Tränen schreit Carmen uns alle an: “Ok ich mache das, aber das wird Euch teuer zu stehen kommen. Ich werde eine Gestoria mit der Präsidentschaft beauftragen und das kostet jeden von Euch 100€ im Jahr!”
Stille.
“Und in meiner Eigenschaft als Präsidentin beschliesse ich die nächste Zusammenkunft ausserturnusmässig am 26.3.”
Hektisch werden Mobiltelephone gezückt und Calender befragt. “Hochzeit der Tochter”, höre ich und “Urlaub in Argentinien”.
Ich verkneife mir darauf hinzuweisen, dass ich im März Grossvater werde und vermutlich nach Deutschland muss, es reicht wenn fünf Leute durcheinander reden.
Carmen packt demonstrativ ihr Clipboard ein und wendet sich zum Gehen. Wir schauen uns alle noch mal an und nicken uns zu und es ist klar, dass diese Zusammenkunft nun beendet ist.

Zu Hause angekommen rufe ich meinen Vermieter an, der derzeit in Madrid ist, und schildere ihm eine kurze Zusammenfassung des Treffens verbunden mit der Bitte mir am 26.3.2020 eine Teilnahme zu ersparen. Der Gedanke, hier Eigentum zu erwerben, liegt mir ferner denn je.