GATUBO

  1. Montag, 1. Oktober

Es ist voellig unglaublich, was hier abgeht. Manchmal denke ich, da ist irgendwo eine versteckte Kamera … aber meist denke ich, ich bin im falschen Film. Morgen mehr davon … aber fuer den ersten Arbeitstag, war es schon wieder mal verdammt hart:

Es war kurz nach zwölf Uhr, als ich bei den Fruchtgummiwerken von Kenzer aufkreuzte. »Herr Kenzer ist in der Mittagspause«, beschied mir die Sekretärin, die sich mir nun als Frau Uhlmann vorgestellt hatte. »Wir hatten sie eigentlich schon früher erwartet«, fügte sie noch hinzu. War da etwas Vorwurfsvolles in ihrer Stimme gewesen? Sie kramte in ihrer Schublade und erhob sich langsam, als sie einen Schlüssel gefunden hatte.

»Ich führe sie an ihren Arbeitsplatz, Herr -m*sh-«, verkündete sie und straf­te mich dabei mit einem Blick, der wohl bedeuten sollte, daß ich ihr die Mittags­pause versaut hatte. Schweigend trabte ich hinter ihr her. Wir gingen durch einen langen Gang, entlang an den Produktionsanlagen, dann eine kurze Treppe hin­unter und gelangten schließlich an eine Türe, an der ein Schild angebracht war: EDV-Technik.

Frau Uhlmann schloß die Türe auf und knipste das Licht an. Wir betraten ei­ne fensterlose Kammer, in der der zweite Hauptsatz der Thermodynamik kaum noch Bedeutung hatte.

»Ihr Reich«, meinte sie mit verächtlichem Unterton und bat mich, den Em­pfang des Schlüssels zu quittieren. Ich stellte meine Tasche mit dem mitgebrach­ten Laptop ab und schaute mich um. Wenn es nach mir gegangen wäre, so hätte man das vorhandene Equipment komplett in ein Technikmuseum verfrachten müssen. ‘Das wird teuer, wenn man das alles auf den neusten Stand bringen will’, dachte ich.

»Ich gehe jetzt auch in die Mittagspause«, verabschiedete sich Frau Uhl­mann. »Sollten sie etwas brauchen, wählen sie einfach die Null für die Zentrale.« Sie deutete auf den Schreibtisch, auf dem sich unter anderem ein Telephon mit Wählscheibe befand, dann schloß sie die Tür hinter sich und ließ mich allein. Ich ließ mich auf den einzigen Stuhl fallen und atmete tief durch. Mechanisch starte­te ich den PC, der unter dem Tisch stand. Der Bildschirm neben dem Telephon flackerte kurz, dann erschien das Windows-Logo mit der Bill-Gates-Gedenk­minute.

Ich öffnete meine Tasche und entnahm ihr den Laptop sowie einen Aschen­becher und zündete mir eine Zigarette an. Auf dem Bildschirm war mittlerweile der Login-Screen erschienen. Ich versuchte es mit User ‘Administrator’ und Paß­wort ‘admin’. Das System akzeptierte diese Kombination und ich rief die Seite mit den Systemdaten auf.

Das Teil war völlig veraltet. Mein Vorgänger mußte ein Künstler gewesen sein. Daß auf diesem Rechner überhaupt ein NT zum Laufen zu bekommen war, hätte ich kaum für möglich gehalten. Aber es war natürlich schweinelangsam. Counter-Strike oder Doom würde ich hier nicht mit angemessener Performance spielen können. Doch für solche Fälle hatte ich ja zum Glück den Laptop mitge­bracht.

Lustlos blätterte ich in einem der Stapel mit Papieren, die mein Vorgänger offensichtlich unbearbeitet gelassen hatte. Nach wenigen Minuten klingelte das Telephon. Ich nahm es nicht ab. Statt dessen warf ich ein paar erste Blicke auf die Server in dem Rack, das in einer Ecke des Raumes stand.

Statt richtiger Server hatte hier irgendein Pfuscher einfach normale Desktops verwendet. ‘Web-Site’ stand auf einem Aufkleber an einem der Rechner. Ein anderes Schild war beschriftet mit ‘Backup’. Der dritte und letzte Rechner hatte keine besondere Kennzeichnung. Das Telephon klingelte erneut.

Ich ließ es klingeln.

Neben dem Rack stand noch ein Towergehäuse, dessen blinkende LEDs an der Frontseite anzeigten, daß es sich hierbei keineswegs um Schrott handelte. Ein kurzer Blick auf die Rückseite bestätigte meine schlimmsten Befürchtungen. Drei Ethernetkarten und ein mit Filzstift aufgebrachtes ‘R’. Das sollte wohl der Router sein. Ich schluckte meinen Ärger hinunter. Das war ja schlimmer, als den Stall des Augias ausmisten zu müssen.

Die Versuchung war groß, den ganzen Mist einfach abzuschalten und ob­wohl es mich mächtig in den Fingern juckte, beherrschte ich mich.

Wieder klingelte das Telephon.

‘Wenn ich hier schon dauernd bei der Arbeit unterbrochen werde, solange noch alles läuft, möchte ich gar nicht wissen was passiert, falls ich den Fuzzis in der Buchhaltung mal die Verbindung zum Internet kappe’, dachte ich und nahm endgültig davon Abstand, den ganzen Schrott auszuschalten.

Kurz darauf flog die Türe auf und Kenzer stürmte in den Raum. Er wirkte äußerst angespannt.

»Herr -m*sh-«, begann er und ich spürte, daß er seinen Ärger nur mit Mühe im Zaum halten konnte. »Was machen sie eigentlich?«

Auf diese blöde Frage war ich zwar nicht vorbereitet, antwortete aber trotz­dem: »Ich versuche zu arbeiten!« herrschte ich ihn an. »Aber entweder klingelt dauernd das Telephon oder …« Weiter kam ich nicht. Kenzer rang nach Luft und schrie dann mit feuerrotem Kopf: »SIE HABEN GERAUCHT!«

Ich zuckte die Schultern.

»Das stinkt ja fürchterlich hier drin«, beschwerte er sich.

»Ich hätte auch lieber ein Zimmer mit Fenster gehabt«, meinte ich lapidar. Kenzer kam nun dermaßen schnell auf mich zu, daß ich schon befürchtete, er würde mich am Kragen packen, doch kurz bevor er mich erreichte, hielt er inne, holte tief Luft und schnaubte dann los: »Auf – dem – ge – sam – ten – Werks – ge – län – de – ist – das – Rau – chen – ver – bo – ten!!!«

»Hier drin auch?« Ich tat überrascht. Aber Kenzer hatte sich schnell wieder im Griff.

»Kommen sie mit!« sagte er gefährlich ruhig und stampfte davon.

Ich schnappte mir den Schlüssel, der noch neben dem Telephon lag, und folgte ihm. Vorsichtshalber schloß ich die Türe ab. Grinsend lief ich hinter mei­nem neuen Chef her. Schlimmstenfalls könnte er mich feuern. Er würde mir ei­nen großen Gefallen tun, doch vermutlich nicht schon am ersten Arbeitstag. Viel­leicht konnte ich ihn ja dazu bringen, daß er mir vor Wut eine semmelte; dann hätte ich einen triftigen Grund, das Arbeitsverhältnis während der Probezeit zu lösen.

Kenzer hatte mich in sein Büro geführt. Es war beeindruckend ordentlich und verfügte über einen großen – ach was, riesigen – Schreibtisch. Die Oberfläche des mehrere Quadratmeter umfassenden Tisches teilten sich ein Telephon, ein Kugelschreiber und ein sündhaft teurer Laptop.

Das war alles.

Der Mann hatte offensichtlich nichts zu tun. Ich machte mir einen mentalen Vermerk, daß hier dringender Handlungsbedarf bestand.

Kenzer ließ sich auf den Bürostuhl fallen, der offenbar noch teurer gewesen war, als der Laptop.

»Wann sind sie heute morgen zur Arbeit erschienen?«, wollte Kenzer wis­sen. Ich tat so, als müsse ich überlegen.

»Eigentlich gar nicht«, antwortete ich zögernd, und fügte schnell hinzu: »Es war schon früher Nachmittag. 12.15 Uhr oder so.«

»Genau«, rief Kenzer. »Wir beginnen hier aber bereits um acht Uhr!«

»In der Früh?« rief ich entsetzt.

»Ja, morgens um acht Uhr«, wiederholte Kenzer leicht ungeduldig. Dann blaffte er weiter. »Ich erwarte sie in Zukunft jeden morgen pünktlich um acht Uhr an ihrem Arbeitsplatz.«

Ich tat erstaunt. »Aber ich bin doch Admin«, sagte ich.

Kenzer blickte mich verständnislos an.

»Den Maschinen kann es doch egal sein, um welche Uhrzeit sie von mir ge­wartet werden.« Vorsichtig versuchte ich, Widerstand aufzubauen.

»Aber nicht den anderen Mitarbeitern!!!« Kenzer schrie nun so laut, daß man es sicherlich auf dem gesamten Werksgelände hören konnte. Es war klar, daß ich den Bogen überspannt hatte. Immerhin hatte er wütende Buch­halter im Nacken, die sich beschwerten, daß ihre Maus nicht richtig funktionierte. Nichtsdestotrotz ließ ich mich davon nicht beirren.

»Ich dachte, ich sei für Computer zuständig und nicht für Menschen«, ent­gegnete ich und dachte an das mickrige Gehalt, das unmöglich auch die War­tung der Mitarbeiter einschließen konnte. Doch nun begann Kenzer, vor Wut zu schäumen.

»Sie begreifen offenbar nicht, was ich sage«, begann er gefährlich ruhig. »Ab sofort will ich sie hier jeden Tag pünktlich morgens um acht Uhr sehen.«

»Hier?« vergewisserte ich mich unschuldig und machte eine Handbewe­gung, die sein Büro umschloß. »Fein, hier gibt es wenigstens Fenster«, stellte ich grinsend fest.

Bevor Kenzer jedoch endgültig die Beherrschung verlor, schluckte er seinen Ärger hinunter. Vermutlich war es diese Fähigkeit, die ihn zum Führen eines Un­ternehmens qualifizierte. Trotz seines aufbrausenden Temperaments hatte er sich im Griff. Noch.

»Ich würde gerne mit ihnen die dringlichsten Aufgaben durchgehen«, sagte er geduldig, ohne auf meinen letzten Satz näher einzugehen. »Ich hoffe, sie ha­ben sich bereits einen Überblick über unsere gesamte Infrastruktur verschafft.«

»Wie bitte?« entgegnete ich. »Ich glaube, ich habe das vorletzte Wort ihres Satzes nicht verstanden.« Kenzer mußte selbst kurz überlegen, bevor er wußte welches Wort ich meinte. »In-fra-struk-tur«, zischte er leise.

»Ach ja, die Infrastruktur.« Ich tat als müsse ich selbst einen Moment lang nachdenken, bevor ich sagte: »Das, was ich bisher vorgefunden habe, ist keine Infrastruktur, sondern ein einziger Murks.«

»Wie bitte?« diesmal war Kenzer es, der diesen Satz von sich gab. Er war ernstlich empört.

»Müll, Schrott. Alles total veraltet«, stellte ich fest.

»Aber es läuft«, entgegnete Kenzer und ich konnte Widerstand in seiner Stimme erkennen.

»Das tut mein Auto auch«, versuchte ich zu scherzen. »Trotzdem isses des­halb noch lange kein gut funktionierendes Netzwerk. Und die Jungs vom TÜV …« Weiter kam ich nicht.

»Sie würden also am liebsten alles wegwerfen und ein neues Netz installie­ren? Sehe ich das richtig?« Ich konnte den Spott in Kenzers Stimme zwar hören, blieb aber selbst todernst.

»Sie haben’s erfaßt«, sagte ich mit fester Stimme und schaute ihm dabei tief in die Augen. Kenzer hielt meinem Blick nicht lange stand. Nach einigen Sekun­den blickte er an mir vorbei, durch das große Fenster, auf den Parkplatz seines Unternehmens und sprach ganz langsam: »Ich würde auch gerne so vieles tun oder lassen, aber es gibt Rahmenbedingungen.«

»Budgets«, sagte ich schnell.

»Nicht nur.« Blitzartig fuhr Kenzer herum und hatte sich wieder völlig unter Kontrolle. »Rahmenbedingungen umfassen nicht nur Budgets, sondern auch Verpflichtungen, wie beispielsweise Pünktlichkeit und die Tatsache, daß sie ge­fälligst das Telephon abnehmen, wenn ich anrufe!« Seine Stimme war nun wie­der lauter geworden.

… morgen mehr, bin voll am Ende

-m*sh-
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  1. Trithemius says:

    Was im ersten Teil als wunderlicher Bericht daherkam, entpuppt sich als ein Prosatext. Der Ansatz gefällt mir gut, und auch die Thematik kommt mitten aus dem Leben. Bin gespannt, wie es dem Ich-Erzähler ergeht.

  2. Ob Bericht oder Prosatext: die Schilderung scheint mir sehr wirklichkeitsnah, was die Herrschaftsausübung durch Unternehmer heutzutage angeht. Deshalb glaube ich ja auch, daß viele Computerfreaks, die sich heute noch als Gewinner der Globalisierung sehen, sich bald als Verlierer wahrnehmen könnten, weil sie auch nicht besser dastehen als die schon ausgegrenzte Arbeiterschaft.

  3. Hmm…da darf man wohl gespannt sein, wie sich die Sache so entwickelt?!
    Ich bin mal gespannt!

  4. Frau_Melle says:

    Ja, ich warte ebenfalls auf mehr!!
    🙂