Im ersten Teil zu diesem Thema habe ich erklaert, dass die Symbolschrift, die wir zur Kommunikation benutzen auch die Kommunikation und somit unser Denken praegt. Ich verwies darauf, dass Kulturen mit anderen Schriftzeichen ueber eine andere Denkweise, Mentalitaet und Semantik verfuegen, weil ihrer Kommunikation eine Struktur zugrunde liegt, die sich von der unseren unterscheidet.
Der Artikel endete damit, dass eine andere Schrift (Symbolik), die unser Denken zum Ausdrueck bringt, und sozusagen als Traeger der Kommunikation fungiert, unsere Denkstrukturen in eine andere Richtung dirigieren und somit die Erkenntnis ueber unsere Umwelt und uns selbst in neue kreative Bahnen lenken koennte.
Es sei darauf hingewiesen, dass in unserem Kulturkreis durchaus andere Schriften existieren. Obwohl fuer die meisten von uns ein Buch mit sieben Siegeln, kennt wohl jeder die Kurzschrift Steno – zumindest vom Hoerensagen.
Wie begrenzt unser Wissen und die Moeglichkeiten des Internets durch unser Alphabet ist, moegen folgende zwei Beispiele verdeutlichen.
Man findet einen Zettel mit stenographischen Notizen. Neugierig wie man ist, wuerde man gerne im Internet nachschauen, was denn nun auf diesem Zettel steht.
Letztlich wird man wohl aufgeben muesen – oder man geht in eine Buchhandlung und lernt autodidaktisch anhand eines Lehrbuchs die Stenographie.
Oder:
Man sieht ein schoenes Tatto, bestehend aus chinesischen Schriftzeichen, auf dem Oberarm einer huebschen Blondine in der Strassenbahn. Neugierig wie man ist, wuerde man gerne im Internet nachschauen, was denn nun diese Inschrift bedeutet.
Selbst wenn man wuesste, wie man diese Symbolschrift nachschlaegt, koennte man sich die Zeichen gar nicht in allen Details merken, sofern man damit nicht vertraut ist.
Die technische Entwicklung, vom Buchdruck bis zum Internet, hat unseren Horizont erweitert – dies ist unbestritten. Dass jedoch allein durch unser Alphabet, der Erkenntnisfaehigkeit sowie unserem Denken und Lernen, Grenzen gesetzt sind, moechten wir bei all den phantastischen Moeglichkeiten, die sich uns eroeffnet haben, gar nicht wahr haben.
Ich moechte das Alphabet nicht schlecht machen, sondern nur aufzeigen, dass diese Art atomisierter Symbolschrift auch ihre Grenzen hat. Und ja – das Alphabet ist ein atomisiertes Abbild unserer Lautsprache. Nicht Silben, Begriffe, oder Bilder werden wiedergegeben, sondern die Laute, die wir im Rahmen unserer sprachlichen Kommunikation benutzen.
Das heisst, wir koennen mit dem Alphabet in erster Linie nur(?) das Wiedergeben, was wir auch sprachlich formulieren koennen. Unsere Sprache (oder das Vermoegen uns sprachlich auszudruecken) ist jedoch nur ein Teil dessen, was unser Gehirn imstande ist zu leisten.
Chinesische Schriftzeichen bestehen meist aus einem Laut-Symbol und einem Bedeutungs-Symbol (Morpheme). Von den 218 Grundzeichen(Radikale)*1 fuer Basis-Begriffe die in jweils 4 Tonlagen ausgesprochen werden (und damit eine jeweils unterschiedliche Bedeutung erfahren), leiten sich alle Begriffe ab. Komplexere oder aus dem Westen importierte Begriffe werden aus vorhandenen Symbolen zusammengesetzt.
Meist besteht ein Zeichen aus einem Laut- und einem Sinn-Element. D.h. ein Teil repraesentiert die Bedeutung des Begriffs und der andere Teil steht fuer die Aussprache der Silbe. Dabei koennen die beiden Elemente in eine linke und rechte Haelfte oder in eine obere und untere Haelfte aufgeteilt sein. Da sich hieraus jedoch wiederum Zusammensetzungen ergeben haben, kann ein Zeichen in ein quadratisches Feld gelegt werden, das aus vier Einzelquadraten besteht. Schreibhefte fuer chinesische Schueler haben auch eine solche Aufteilung:
Mein altes Schreibheft …
Kennt man die Radikale, die Aussprache und ihre Bedeutung, lassen sich nach dem Begriff oder dem Laut in Woerterbuechern auch unbekannte Woerter nachschlagen (was jeder Student der Sinologie im ersten Semester lernen sollte).
[Hinweis: Diese Darstellung ist aus Platzgruenden stark vereinfacht]
Diese sich stark von unserer Atomschrift unterscheidende Weise der Symbolik verdeutlicht – hoffentlich -, dass schriftliche Kommunikation unseren Horizont praegt und Menschen mit anderen Schriftformen auch bezueglich des Lernens sowie des Denkens (und jeglicher darauf aufbauenden Entwicklung) stark von den uns bekannten Strukturen abweichen.
Soviel zu diesem kleinen Exkurs – dieses Thema wird fortgesetzt
Herzlichst Euer
Und hier geht es zum dritten Teil.
*1) In chinesischen Taschenwoertbuechern hat sich Ende des letzten Jahrhunderts ein System besetehend aus 187 Radikalen durchgesetzt.
Lieber Freund,
Dein aus konkretem Wissen geschöpfter Beitrag ist wirklich beachtlich.
Hochachtung!
Rupi
Eher so dahingeschludert – aber fuer’n Blog sollte es reichen 🙂
-m*sh-
Ich sag ja immer schon, eines Tages werden uns die Asiaten überrollen, auffressen und die Weltherrschaft übernehmen, weil die so viel schlauer sind. Die sind genauso wenig irdisch wie ihre Schrift.
Interessant, danke.
Die sind NICHT schlauer – nur anders. Ich werde noch darauf zurueckkommen (falls ich mich nicht komplett verzettele). Die sind durch ihre Schrift ganz anderen Einschrankungen ausgesetzt. Allerdings lernen mehr von denen unsere Schrift als umgekehrt.
Das macht sie wirtschaftlich sicherlich zu einem Faktor, der nicht zu vernachlaessigen ist. Von Gefahr wuerde ich eher bei der chinesischen Umweltpolitik sprechen, die de facto fehlt und einer aggressiven Konjunktur- (Wachstums-)Politik zum Opfer faellt.
-m*sh-
Wir treten keinem Abkommen bei! Wir sind dafür, dass wir dagegen sind!
Ich behaupte einmal, es gibt sehr wohl Menschen, die Gedanken sehr bildlich, schriftlich darstellen können, allerdings auch nur dann, wenn der Lesende diese Metapher auch umzusetzen weiß.
Ich stimme Dir zu, es gibt diesbezueglich wunderbare Genies, deren Texte wir gerne lesen, doch ist dies nicht ganz der Punkt, auf den ich hinaus will.
Sondern: die Schrift als Basis der Kommunikation ist reduktionistisch und und wir sind (bildlich gesprochen) an dieses System der Reduktion gebunden. Daraus resultiert ein bestimmtes – reduziertes – Denken. Andere Kulturen denken in komplett anderen Strukturen und die Luecke dazwischen – wenn man sie erschliesen koennte – wuerde uns neue Impulse geben.
-m*sh-
Und Sprache damit auch?
Sprache auch. Sicher. jeder, der eine Fremdsprache kann und in ein anderes Land geht und dort mit Menschen kommuniziert, erweitert seinen Horizont. Das ist unbestritten. Ob dies jedoch auch das Denken aendert sei dahingestellt.
In Europa stammt ein grosser Teil unserer Sprachen aus dem kulturellen Kreis der Roemer (und Griechen), das heisst der Stamm und die Struktur sind weitgehend aehnlich obwohl es auch da Unterschiede gibt.
-m*sh-
Klar erweitert eine zusätzliche Sprache den Horizont, da man sich auch unweigerlich mit der Kultur auseinandersetzt.
Nur find ich eben an den unterschiedlichen Sprachen, auch innerhalb einer Kultur (ich vergleiche gerne Deutsch mit Deutsch und nicht nur die Dialekte, sondern auch WIE man sich mitteilt) hier Unterschiede. Das fördert auch eine gewisse Sensibilität im Ausdruck.
Die asiatischen Länder sind ein besonders großer (kultureller) Sprung, wo Aussagen insbesonders persönlicher Natur immer versinnbildlicht werden und nie direkt (deutsch) getroffen werden.
Tolles Thema!
Danke
Wieder zurück zur Schrift. War nur kurzer Ausrutscher von mir.
Das ist okay mit dem Ausrutscher. das Thema laesst sehr viele Wege offen, in die eine Diskussion fuehren kann. Man denke nur an Bereiche der Philosophie, wo sich insbesondere nach der Aufklaerung zunaechst einmal viele Gelehrte mit reinen Definitionen herumschlugen – ohne auf Fremdsprachen bezug zu nehmen.
Die haben praktisch 200 Jahre lang erst mal die Begrifflichkeiten vorsortiert.
In der Kybernetik findet dieser Prozess heute wieder statt.
-m*sh-
Bin gerade erst dazu gekommen, den 2. Teil zu lesen, mein Lieber -s*sh-. Was du schreibst, ist eindrucksvoll. Wie das Alphabet unsere Denken prägt, wie Schrift dies generell tut, lässt sich am Vergleich zwischen mündlichen und schriftlichen Kulturen erkennen. Der Engländer Goody hat das untersucht. Der Drang zur Abstraktion ist in den Alpabetkulturen groß, wodurch das Denken immer stärker eingeengt wird. Ich bin sehr gespannt, was sich in Hinblick auf die Erweiterung des Denkens aus der Spurschrift herleiten lässt.
Lieben Gruß
Jules
[…] ersten und im zweiten Teil zu diesem Thema habe ich herausgearbeitet, dass mit dem Erlernen der Alphabetschrift auch […]