Okay, das Arbeitsamt hatte mir vorgeschlagen, mich bei den “Kenzer Fruchtgummiwerken” zu bewerben. Die Bewerbung hatte ich vor Monaten abgeschckt – und schon wieder voellig vergessen.

Bis letzte Woche voellig unerwartet, die Einladung zu einem Vorstellungsgespraech hereinflatterte. Es ist heute!

‘Dann stürze ich mich mal in das Vorstellungsgespräch und mache mir einen Spaß daraus’, dachte ich sarkastisch, als ich mir eine Tasse Kaffee einschenkte. Neun Uhr dreißig war verdammt früh. Während ich den Kaffee trank, zog ich mich an. Da mir für eine weitere Tasse die Zeit fehlte, nahm ich das Fahrrad und hoffte, auf diese Weise meinen Kreislauf wenigstens ein bißchen in Schwung zu bekommen, bevor ich fremden Menschen unter die Augen trat.

Die ‘Kenzer Fruchtgummiwerke’ lagen im Gewerbegebiet Nord und mit dem Fahrrad konnte ich diese Strecke in einer Dreiviertelstunde bewältigen. Dunkle Ge­witterwolken türmten sich am Westrand des Schwarzwalds auf, und bald schon spürte ich die ersten Regentropfen in meinem Gesicht. Ich fuhr schneller. Zu­nächst waren es nur vereinzelte, dicke, schwere Tropfen, doch plötzlich ging ein Wolkenbruch nieder, der mich innerhalb weniger Sekunden völlig durchnäßte.

Ich hatte in einer Art Wartezimmer an einem Tischchen Platz genommen, auf dem, neben einer kleinen Schale mit Fruchtgummis, diverse Zeitschriften la­gen. Da kein Aschenbecher zur Hand war, verteilte ich die bunten Süßigkeiten auf die herumstehenden Topfpflanzen und benutzte die Schale als Aschenbe­cher. Der Raum war kahl und das Mobiliar billig.

Beim Betreten des Werksgelän­des hatte ich allenthalben sehen können, daß man einige Teile des Gebäudes renoviert und nun mit viel Chrom und Glas aufgepeppt hatte. Trotzdem wurde ich den Eindruck nicht los, daß es sich lediglich um oberflächlich kosmetische Renovierungen handelte.
Aus jeder Faser meiner Kleidung tropfte Wasser. Zu meinen Füßen hatte sich eine Pfütze auf dem Teppich gebildet und ich sah darin lediglich die Bestäti­gung, daß ich mit meiner Einstellung absolut richtig lag:
Es machte keinen Unter­schied, was man zu einem Vorstellungsgespräch trug. Selbst mein bester Anzug wäre nun ebenfalls durchnäßt und ich würde nur um so lächerlicher darin aus­sehen.

Gerade wollte ich mir die zweite Zigarette anzünden, da kam die junge Frau herein, die mich schon vorher in Empfang genommen hatte. Indigniert machte sie mich darauf aufmerksam, daß auf dem Werksgelände im Allgemeinen und den Büroräumen im Besonderen, das Rauchen strengstens untersagt sei. Des weiteren würde ich nun erwartet. Ich erhob mich und folgte ihr – wobei ich eine nasse Spur hinterließ.

Sie trug ein beigefarbenes Kostüm, das ihre Figur betonte, und hatte lange schlanke Beine. Von hinten sah sie phantastisch aus und ich wußte, daß es eine solche Frau bei mir sehr leicht haben würde – auch wenn sie hier die arrogante Chefsekretärin mimt.

Wir gelangten in einen großen Konferenzraum, der zumindest teilweise mit Holz vertäfelt war und bis auf den Beamer, der von der Decke hing, einen sehr gediegenen Eindruck machte. Genau wie die zwei jüngeren Herren in dunklen Anzügen mit Krawatten, die am Kopfende des Raumes an einem langen Konfe­renztisch saßen. Direkt rechts neben ihnen erkannte ich beim Nähertreten zu meinem Entsetzen auch Frau Pediwel – meine Arbeitsberaterin.

Was hatte diese Schnepfe hier zu suchen? Nicht, daß ich etwas vor ihr zu verbergen gehabt hätte; doch von diesem Moment an betrachtete ich die ganze Veranstaltung als persönliche Schikane. Statt den Arbeitslosen einen Job zu ver­mitteln, nutzte sie den heutigen Tag um mich zu mobben, bevor ich über­haupt eine Stelle hatte.

Man stellte mich vor. Das heißt, Frau Pediwel stellte mich ihrem griesgrämig dreinblickenden Bruder Bernhard Pediwel vor, der neben ihr saß und eine Stelle als Prokurist, beziehungsweise stellvertretender Geschäftsführer oder derglei­chen bekleidete. Der andere Krawattenträger war der Boß – Herr Karl Friedrich Kenzer.

Bernhard Pediwel war kaum älter als seine Schwester – ich schätzte ihn auf Anfang dreißig. Auch Kenzer selbst war etwa in meinem Alter.
Ich blickte mich um. Aus dieser Perspektive sah der Raum noch größer aus, als beim Hereintreten. Der Beamer projizierte das stümperhafte Logo der ‘Kenzer Fruchtgummiwerke’ auf eine Leinwand am anderen Ende des Saales. Dann wur­de der Beamer abgeschaltet und kurz bevor das Bild erlosch, flossen Regenbo­genfarben über die verschwimmenden Buchstaben und ich hatte eine Assozia­tion, die ich nicht greifen konnte – aber das Bild prägte sich mir ein.

Frau Pediwel machte mich als allererstes darauf aufmerksam, daß es sich bei der angebotenen Stelle um eine Tätigkeit handelte, die ich nicht ablehnen durfte – zumindest nicht, ohne eine Bezugssperre für mein Arbeitslosengeld zu erhalten. Während sie sprach, blickte sie mich abschätzig an, als wäre es meine Schuld, daß es draußen regnete.

Bevor ich mir über dieses merkwürdige Tribunal weitere Gedanken machen konnte, begann Herr Kenzer mit dem üblichen Blahfasel, in dem er sein Unter­nehmen als besonders vorbildlich, erfolgreich und innovativ darstellte.
Ich hörte mit halbem Ohr zu und versuchte aufmerksam und intelligent zu wirken. Wollte ich doch nicht, daß Frau Pediwel einen schlechten Eindruck von mir bekam. Ihr Bruder entsprach der Kategorie Mittelstandsschleimer. Er war sehr groß, hatte ein nichtssagendes, glattes Gesicht und seine dunklen, vollen Haare setzten sich auch dort in Form von buschigen Augenbrauen und scharf gezeichneten Koteletten fort. Er würde für ein Mikrowellengerät jedem den Arsch lecken. Für was kleines, schnuckeliges Elektrisches mit farbigem Display viel­leicht auch mehr.
Kenzer hingegen hatte dunkelblonde Haare, die auf traditionell langweilige Weise kurz geschnitten waren. Unter der hohen Stirn blickten tiefliegende Augen unter den hellen Brauen hervor und sein ovales Gesicht wurde zum Kinn hin immer breiter. In seinen Zügen lag eine Härte, die überhaupt nicht zu seinem Alter paßte. Er sah rücksichtslos aus und brutal; trotz oder gerade wegen seines maßgeschneiderten Anzugs.

Vor sich hatte er einen Bleistift sowie einen Notiz­block parallel ausgerichtet nebeneinander liegen, und ich vermutete, daß er penibel war, bis hin zur Pedanterie.
Noch während des einleitenden Gelabers bezüglich des Produktionsvolu­mens, das nun Pediwel übernommen hatte, erschien die junge Dame, die mich hereingeführt hatte und flüsterte Kenzer etwas zu, wobei sie mich vorwurfsvoll ansah. Kenzer nickte nur kurz und bedeutete ihr, wieder zu verschwinden.
»Wir haben hier übrigens rauchfreie Arbeitsplätze«, meinte Kenzer nun an mich gewandt und fuhr sogleich fort: »Sie rauchen?«
»Ja«, antwortete ich wahrheitsgemäß, aber kurz angebunden.
»Des weiteren eignen sich unsere Produkte nicht als Blumendünger«, stellte mein Gegenüber vorwurfsvoll fest und ich konnte ein riesiges Fragezeichen auf den Gesichtern der Geschwister Pediwel sehen.
»Nicht?« Ich tat erstaunt. »Sind die Dinger etwa nicht biologisch abbaubar?«
»Sie wissen nicht viel über Fruchtgummis«, stellte Kenzer fest.
»Nur, daß es rote, gelbe, grüne und blaue gibt«, plapperte ich, doch Kenzer unterbrach mich unwirsch: »Es gibt keine blauen Fruchtgummis.«
»Wirklich nicht?« Ich blickte ihn erstaunt an; hatte ich doch nie darauf geach­tet. Um sowohl mein Unwissen als auch mein Desinteresse an der Materie zu ka­schieren, ging ich darauf ein: »Warum gibt es keine blauen Gummibärchen?«
»Unsere Fruchtgummis gibt es in Rot, Grün, Weiß, in Gelb und Orange«, do­zierte Kenzer, sichtlich in seinem Element. »Selbstverständlich verwenden wir für unsere Produkte ausschließlich natürliche Farbstoffe«, erläuterte er und kam da­mit auf meine ursprüngliche Frage zurück: »Eine Pflanze oder eine Frucht, mit der ein vernünftiges Blau zu machen wäre, gibt es leider nicht.«
»Was ist mit Blaubeeren?«, warf ich ein, wobei ich Interesse und Kreativität heuchelte, doch Kenzer schüttelte den Kopf.
»Blaubeeren geben so viel Farbe ab, daß unsere Fruchtgummis am Ende schwarz erscheinen würden”, klärte er mich auf.
Ich zuckte die Schultern. Schwarz ist meine Lieblingsfarbe und ich fühlte mich schon jetzt von diesem Mann diskriminiert, wenn er sich weigerte Gummi­bärchen in meiner Lieblingsfarbe herzustellen.
Während ich im folgenden die Zusammensetzung moderner Fruchtgummis sowie deren Umweltverträglichkeit, aus der Sicht eines Lebensmittelchemikers, erläutert bekam, überlegte ich, was ich wohl am besten anstellen konnte, um den Job nicht zu bekommen.

Endlich kam Herr Kenzer auf die eigentlichen Arbeit zu sprechen. Er hielt meine Bewerbungsmappe in die Höhe und sagte anerkennend: »Bei ihren Quali­fikationen brauche ich wohl kaum viele Worte auf ihr künftiges Aufgabengebiet zu verschwenden.«
Ich schüttelte schnell den Kopf – nur für den Fall, daß das eine Frage gewe­sen sein sollte. So umständlich, wie er mir seine Gummibärchenfirma erklärte, hätte ich einen Schreikrampf bekommen, wenn er mir nun auf die gleiche Weise seine IT-Infrastruktur erläuterte.

Dann zog er einige weitere Unterlagen hervor und nickte Frau Pediwel zu. Jetzt kommt’s dachte ich. Und ich lag nicht daneben.
»Wir stellen sie zu einem Anfangsgehalt von zweitausendfünfhundert Euro monatlich ein.«
Davon abgesehen, daß ich bisher kaum ein Wort gesagt hatte, oder gar gefragt worden war, ob ich den Job überhaupt wollte, war das ein Affront.
»Na«, jauchzte Frau Pediwel überflüssigerweise. »Was sagen sie nun? Sie haben endlich wieder Arbeit!«

Ich hätte Kotzen können. Selbst wenn ein Vorstellungsgespräch für beide Seiten erfolgreich verläuft – was in diesem Fall sicherlich nicht zutreffend war –, bitten sich die Parteien in der Regel noch eine Bedenkzeit von wenigen Tagen aus. Dieses Schlupfloch wollte man mir jedoch nicht gewähren. Ich fühlte mich, als wäre ich einem Versicherungsfritzen auf den Leim gegangen und der würde nun nicht mehr locker lassen, bis ich den Vertrag für die Zusatzrente unter­schrieben hatte. In diesem Fall erwartete man von mir, daß ich den Arbeitsver­trag im Beisein von Frau Pediwel unterzeichnete. Ich unterschrieb. Arbeitsbeginn war der folgende Montag.

  1. Sportsfreund says:

    echt jetzt? kurzweilige story. hab mir gleich am anfang eine tüte haribo saure fruchtgummis geholt. waren nur noch die scheiss gelben drin übrig. kenzer waren leider nicht zu finden. die sache mit den topfpflanzen: geil.

    • sha-mash says:

      Ja, echt voll hart. Ich hasse Gummibaerchen – aber die Chefsekretaerin ist echt suess. Sie will sich mit mir am Wochenende treffen und ein paar Internas verraten. 🙂

      Klar, ich koennte cool sein und sagen, dass ich – gut wie ich bin in meinem Job – so etwas nicht brauche, aber so wie die aussieht …
      -m*sh-

  2. Trithemius says:

    Darf man gratulieren? Der Bericht liest sich sehr kurzweilig. Ich vermute und hoffe, du hast keine Klarnamen verwendet und dein neuer Arbeitgeber produziert auch keine Fruchtgummis, sondern was anderes, z.B. Spekulatius. Oder willst du den Job sowieso nicht behalten und wirst uns demnächst mit Interna unterhalten, die dir die Chefsekretärin im trauten Tête a tête verraten wird?

    • sha-mash says:

      Wieso sollte ich keine Klarnamen verwenden?
      Ich habe nichts zu verbergen und wenn die Fruchtgummimafia Dreck am Stecken hat, isses nicht mein Problem …
      Von dem tete a tete werde ich berichten, sobald hier eine Funktionierende Alterskontrolle in blog.de integriert ist. 🙂
      -m*sh-

  3. Frau_Melle says:

    Ist die story echt oder “nur” gut erzählt? Hat mir total gut gefallen – die Aufnahme einer regulären Tätigkeit hieße aber doch, dass es dann weniger in Deinem blog zu lesen gäbe, oder?!
    *Däumchendreh*

  4. Abwarten und Tee trinken (ober Fruchtgummis essen)

    Eigenartig ist das allerdings schon, oder?
    War B12 im Spiel?

  5. deleted user says:

    Ich würde auf eine neuerliche Testreihe blauer Gummibären insistieren, vielleicht hat der Chef keine Ahnung?

    • sha-mash says:

      Was heisst da ‘vielleicht’???
      Der hat ganz sicher keine Ahnung. Hab schon ein wenig rumprobiert. Es ist ganz leicht, schwarze Geummibaerchen herzustellen:

      Das Bild ist echt!
      -m*sh-

      • Frau_Melle says:

        Na, das sieht ja lecker aus!

        Ich grübele allerdings über den Hintergrund nach – was könnte das sein? Was glänzt goldfarben und ist derart geriffelt??
        (jaja, ich weiß: “goldfarben”, das schreit ja nur nach einem Wortspiel!)

        • sha-mash says:

          Da will ich mal kein Geheimnnis aus dem Hintergrund machen: Es ist eine (ansonsten leere) Pralinenschachtel, die ich wegen dem Kontrast als Hintergrund gewaehlt habe und in die ich den Bär gesetzt hab’.
          Hmm… mir faellt gerade kein Wortspiel mit “goldfarben” ein, werde aber Kenzer am Montag fragen, ob er nicht goldene Gummibaerchen herstellen moechte – mit Senf als Grundstoff :-)))
          -m*sh-

      • deleted user says:

        Ich glaub, du gehst in die Geschichte der Gummibären ein.
        Auf die Gold- und Silberbären warten schon die Best Agers!