Blutkrank

Posted: 11th November 2006 by mash in allgemein, Unterhaltung
Tags: , , , , , ,


Heute morgen nach dem Aufwachen wusste ich, dass ich es tun wuerde. Klar, es ist krank. Ich bin krank – aber ich konnte nicht anders.


Die Kinder waren schon frueh aus dem Haus gegangen, weil sie mit einer Freundin zum Shoppen wollten und danach haben sie wieder Training. Noch leicht verschlafen schleppte ich mich in die Kueche und setzte Wasser fuer den Kaffe auf. Dann weiter ins Bad.
Meine Gedanken irritierten mich. Doch ich konnte an nichts anderes mehr denken.
Das Wort ‘manisch’ rotierte in meinem Kopf wie ein Kreisel.
Dann der Anblick der Badewanne. Ihr jungfraeuliches Weiss reizte mich; reizte mich, es zu zerstoeren. Genau so wie all das andere auch, das mich schon so lange nervte.
Nein.
‘Nervte’ ist falsch. Es verfolgte mich. Es war dieser innere Schmerz, der mich bei jedem Schritt verfolgte, wie ein zugelaufener Hund.
Vor meinem geistigen Auge erschien ein Hund mit haengender Zunge. Blutrot war sie, die Zunge. Das Blut troff aus den Lefzen des Hundes.
Schnell verscheuchte ich diesen Gedanken und starrte wieder auf das weisse Emaille der Badewanne. Noch heute wuerde es sich rot faerben – blutrot.
Der Zwang war so stark, dass ich mich entschloss, schon vor dem Kaffee diese Tat hinter mich zu bringen.
Die grossen japanischen Messer waren in der Kueche – also begab ich mich dort hin. Vorsichtig oeffnete ich die Schublade des Kuechenschrankes und entnahm ihr diese beiden wohlbehueteten Stuecke. Sie waren so scharf, dass wir sie vorsichtshalber in Tuecher gewickelt hatten. Das war gut so. Sehr gut. Kein verraeterisches Klappern, kein Metall, das klirrte.

Dann ploetzlich ein Geraeusch.
War Ela schon wach geworden? Ich wollte eigentlich nicht, dass sie vorzeitig erwacht. Schon gar nicht heute. Sie hatte Nachtdienst und sollte noch ein paar Stunden schlafen. Ich wollte den Ueberraschungseffekt auf meiner Seite haben. Noch mit den Messern in der Hand ging ich zum Schlafzimmer und lauschte an der Tuer.
Ich war beruhigt. Ihre regelmaessigen Atemzuege waren deutlich zu vernehmen. Erleichtert, dass sie noch schlief und somit keinen Verdacht geschoepft hatte, trug ich die Messer ins Bad. Beide. Man kann ja nie wissen. Wenn man versehentlich einen Knochen erwischt und das Messer abbricht …

Doch dazu wuerde es hoffentlich nicht kommen. Trotzdem ging mein Atem nun schneller.
Letzte Vorbereitungen. Reinigungsmittel. Wenn Blut spritzt, dann sollte ich die Spuren so schnell als moeglich beseitigen. Und die Wanne wuerde ich ohnehin putzen muessen – hinterher.

Aufgeregt aber fest entschlossen tat ich die wenigen Handgriffe, die noch erforderlich waren.
Trotzdem wurde mir beinahe schlecht.

Musste mich selbst beruhigen. Ich war nicht der Erste und auch nicht der letzte der so etwas tun wuerde. Und nach all dem was in letzter Zeit passiert war, musste es einfach sein. Es ging nun schon viel zu lange so. So schleppend – so furchtbar schmerzhaft.
Gehandicapped, mit beiden Armen im Gips, konnte ich in den letzten Monaten nur hilflos zusehen wie das alles schlimmer wurde. Es wurde letztlich zu viel. Und heute war der Tag an dem ich der ganzen Sache ein Ende bereiten musste.

Ein letzter klarer Gedanke: Ich musste die Badewanne mit einem Handtuch trockenwischen. Ich wollte darin bei dieser Taetigkeit nicht ausrutschen. Alles musste schnell und glatt gehen. Ohne Zwischenfaelle. Zufrieden stand ich in der Badewanne. Das Blut pulsierte in meinen Adern, mein Schaedel pochte. Jetzt war noch die Frage offen, wie ich es im Detail anstellen sollte. Ela lag im Bett – ich war hier im Bad.
Es musste ohne Geschrei passieren. Nicht, dass die Nachbarn misstrausich wurden.
Aufgeregt aber entschlossen, blickte ich mich im gut vorbereiteten Bad um, als mich erneut ein Geraeusch erschreckte. War Ela nun doch schon wach geworden?
Ja. Es waren zweifelsfrei ihre Schritte, die sich nun ueber den Flur naeherten. Meine kaltschweissige Hand umklammerte das Messer nun fester.
In dem Moment ging die Tuer auf.
Ela blickte kurz verschlafen zu mir hoch. Dann riss sie die Augen weit auf, als sie das Messer in meiner Hand sah. Ich zoegerte noch – einen Moment zu lange vielleicht.
“Du … du willst doch nicht …”, stotterte sie. Ich fuehlte mich ertappt und war unfaehig, mich zu bewegen. Einen Moment lang starrten wir uns gegenseitig wortlos an.
“Du haettest mit mir reden sollen”, begann sie erneut. Frauen wollen immer reden. Aber es war heute nicht der Tag zum Reden. Nicht fuer mich. Ich schluckte kurz und sagte nur, “Zu spaet.”
“Es ist nie zu spaet”, jammerte Ela und fuegte noch fast flehend hinzu, “Lass uns erst mal Kaffee trinken – Fruehstuecken.”
Ich fuehlte mich beschissen, brachte kein Wort heraus und schuettelte nur den Kopf.
“Ich kann Dir doch helfen”, meinte sie und der Klang ihrer Stimme haette beinahe etwas beruhigendes gehabt. Doch meine Entschlossenheit war staerker.

Unglaeubigkeit las ich in ihren Augen. Auch noch in dem Moment, als das kalte Metall der Klinge die Haut beruehrte.

“Komm, lass mich das machen”, sagte Ela und entwand meiner Hand das Messer.
“Ich bin Krankenschwester und wenn Deine Hornhaut an den Fuessen weh tut, muss man sie nur wegschneiden.”

Hilflos klammerte ich mich an den Armaturen fest und sah zu, wie sie sich an meinen Fuessen zu schaffen machte. Es tat nicht einmal weh – ich war erleichtert. Es floss auch kein Blut. Sie ist eine gute Krankenschwester.

“Danke”, brachte ich schlieslich hervor, “ich liebe Dich.”
“Ich dich auch”, stellte Ela knapp fest und schaute mir dann tief in die Augen. “Aber das naechste Mal machen wir das nach dem Freuhstueck.”

hit any key 2 continue
-m*sh-

  1. NewDaysEntry says:

    Hast Du schon mal daran gedacht ein Buch zu schreiben? Tolle Dramaturgie, Spannung und schön geschrieben! 😉 …ok, am Ende muss es nicht unbedingt die Hornhaut sein, aber da fällt Dir bestimmt noch was anderes ein.

  2. sha-mash says:

    Hmmm, ich denke an nichts anderes, bzw. suche einen Verleger.
    Ein Auszug aus meinem letzten roman findet sich unter synth. Drogen.
    Gibt allerdings bezueglich des Buches selbst nicht so viel her.
    Und was hast Du gegen Hornhaut? Ela laeuft noch mehr Barfuss als ich und hat drei bis vier Zentimeter Hornhaut an den Fuessen.
    Aber Danke fuer das Kompliment.
    -m*sh-

  3. Frieling says:

    Hallo Häuptling,

    hast Du die die Schwielen etwa bei unserer nächtlichen Wanderung zugezogen, fragt

    Rupi

  4. sha-mash says:

    Nee, war ein Fahrradunfall, bzw. eine Dame meinte, mit Ihrem Auto mich volle Kanne rammen zu muessen. Und beide Arme gebrochen ist echt fies – vor allem bei dem Gesundheitssystem:

    [Hinweis: jeder Satz ein Link mit Realsatire]
    shit happens

    Kontrolltermin
    Und dann auch noch Arbeitslos geworden …
    Und Falsche Gutachten
    Idiotische Tests, denen ich mich unterziehen muss.
    Schliesslich ein Kombilohnangebot des Arbeitslosenamtes
    Dann wird der OP Termin verschoben von Mittwoch auf Februar.
    Dann wurde -m*sh- furchtbar sauer.
    Es flolgte mein Fazit zur Uniklinik Freiburg
    Und dann doch die langersehnte OP
    Was auch mal zu Fehlkaeufen fuehren kann.

    -m*sh-

  5. woha.. das ist ja wahnsinn was du da geschrieben hast. mir fehlen die worte. ich hatte beim lesen gänsehaut!

  6. Nybbler says:

    lol. Ich hab mich nur gefragt, wie Du nach erfolgreichem Suizid noch die Wanne sauber machen willst 🙂