Etwas Sinnloses Tun

Posted: 14th December 2006 by mash in allgemein, Realsatire, Unterhaltung
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Um meiner solipsistischen Grundeinstellung, die manchmal bis hin zum Nihilismus reicht, entgegenzuwirken, empfahl mir meine Psychotherapeutin etwas sinnloses zu tun.

“Shoppen gehen?” wollte ich entsetzt wissen und erntete den debilen Blick einer Frau, die nur deswegen noch nicht wahnsinnig geworden ist, weil sie ihre ueberschuessige Verzweiflung mit Frustkaeufen kompensieren kann und um diese Jahreszeit gegenueber ihrem Haushaltsvorstand noch nicht einmal besondere Anstrengungen in Bezug auf faule Ausreden unternehmen muss.

Immer wenn sie nichts sagt, fuerchte ich, mich erlaeutern zu muessen. So auch dieses mal; daher fuhr ich fort: “Nicht mit mir. Vom Einkaufen bin ich befreit – ich habe ein Attest und ausserdem ein Y-Chromosom.”
“Tun Sie doch einfach einmal etwas sinnloses”, erklerte sie mir aufs Neue.
Meine Widerrede blieb mir im Halse stecken, sie blickte mich nun schon wieder so seltsam an, dass ich fuerchtete, hier nicht herauszukommen, bis ich ihr versprochen hatte, etwas sinnloses zu tun.
Dann hatte ich einen Geistesblitz. Schon vor Jahren hatte ich ein Puzzle gesehen; knapp siebenhundert Teile, rund und komplett weiss.
Etwas sinnloseres gab es nicht.
“Mir faellt da etwas ein”, begann ich und erzaehlte ihr von dem Puzzle. Meine Psychotherapeutin war begeistert. Ein geradezu grandiose Idee war mir da eingefallen. Ich solle umgehend losgehen und mir dieses Spiel kaufen.

Das war vor einigen Tagen.
Nun hatte ich den Salat. Natuerlich konnte man das Puzzle weder in der Buecherei der hiesigen Dorfgrundschule ausleihen, noch war es in einem der Spielwarengeschaefte verfuegbar, die hier auf dem Land die kleinsten der Kleinen mit Holzspielzeug versorgen.

Mir blieb nichts anderes uebrig, als in die Stadt zu fahren. Erstaunlich schnell fand ich einen Parkplatz in bester Lage. Totales Halteverbot am Eingang der Fussgaengerzone. Ich rupfte den Strafzettel vom Wagen nebenan und schob ihn unter meine Wischerblaetter. Das musste fuer eine gute halbe Stunde als Tarnung reichen.

Die Laeden in der Innenstadt versuchen sich mit uebertriebener Leuchtreklame sowie den Farben rot, weiss und gruen die Kunden vom Halse zu halten. Doch es sind zu viele Menschen. An manchen Orten wird man gar direkt in die Tueren der Kaufhaeuser geschubst.
Fuehle mich irgendwie an die Altstadt von Amsterdam erinnert, wo man in Schuppen reingezogen wird, die man – sofern bei klarem Verstand – normalerweise meiden wuerde. Hier ist es nicht anders.
Ich unterdruecke den ersten Wuergreiz und haste durch Menschenmassen, die bepackt mit Tueten, Taschen und Koffern, sowie behindert von Kinderwaegen, Regenschirmen und aehnlich ueberfluessigem Equipment die Strassen verstopfen.

“Warum tue ich mir das an?” frage ich mich und hadere wie schon so unzaehlige Male zuvor mit meinem Schicksal.
Doch Mission Control ist staerker. Ich weiss warum ich da bin. Ich soll ein Puzzle kaufen.
Ein ganz bestimmtes Puzzle, um etwas voellig sinnloses zu tun.
Das war der Ziel der Uebung.
Etwas voellig sinnloses tun.

Das tat ich jedoch bereits. Ich brauchte das Spiel gar nicht mehr.
Auf dem Absatz machte ich kehrt und bahnte mir den Weg zurueck zum Auto.
Dem Weihnachtswahn noch einmal mit einem blauen Auge entkommen.
Selbsthilfe ist die beste Hilfe – und 16,95 EUR gespart.

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-m*sh- [sarkasmus inside]

  1. Nein! Du bist ein Idiot!

    Du hättest deine Therapeutin gleich flach legen sollen.

    Das wäre genau so sinnlos gewesen, hätte mehr Spaß und weniger Streß gemacht. Und hätte das Spritgeld gespart.

    Meint ja blos, Fritz, der dich Klasse findet

    • sha-mash says:

      Danke fuer das Kompliment, aber Dein Vorschlag verbietet sich, da die von dir angebotene Alternative ein meinen aesthetischen Grundsaetzen diametral entgegengesetztes Handeln bedingen wuerde.
      [Das hab ich jetzt vorsichtig fomruliert]
      -m*sh-

  2. SLash says:

    Du könntest ein weisses Blatt Papier oder ähnliches fotografieren und ab zum Fotoshop, die machen dir daraus ein Puzzle. Ist doch auch ein tolles Weihnachtsgeschenk…

  3. Klasse. :))

    Du solltest Deine Einleitung nicht mit derartig komplizierten Fremdworten einleiten. Denk’ dran dass Du auch einfacher strukturiertere Stammleser wie mich hast…

    Den Sinn eines Puzzles habe ich ebensowenig begriffen, wie den Shoppingwahnsinn. Schön dass einmal beide Aspekt auf derart gekonnte Weise zusammengeführt wurden. :yes:

    • sha-mash says:

      Ich vermeide Fremdworte wo ich kann, aber seit ich heute morgen im Radio vernahm, dass Fanmeile das Wort des Jahres ist, fuehle ich mich ohnehin voellig ausgegrenzt.
      Ein Fan, das ist doch ein Ventilator und eine ganze Meile voller Ventilatoren, duerfte sich derzeit noch nicht mal im Geiz-ist-Geil-Markt finden lassen.
      Versteh’ ich nicht.
      -m*sh-

  4. Weißes Puzzle, Schenkelklopfer! Das geht wirklich nicht zu toppen.
    Ach so meintest du das, verstehe. Jeder aus seiner Sicht, kommt ja aufs Gleiche…

  5. deleted user says:

    Und machst du morgen etwas Nutzloses, oder wäre das sinnlos?

  6. Deleted says:

    nebenan und schob ihn unter meine Wischerblaetter

    Der ist auf Interne Festplatte, danke für diese Idee!
    Wer liest hat mehr vom Straßenverkehr!

    Super Geschrieben, danke!
    LG: Bernhard

  7. Das ist eine seltsame Aufgabe: etwas sinnloses tun. Was sagt denn die Therapeutin was sinnlos ist? Es ergibt doch alles einen Sinn, auch wenns manchmall Unsinn ist.
    Ich hätte da eher Fragen an sie, ob sie denn etwas als sinnlos erachtet? Seltsam seltsam…