Nachdem ich gestern mit einem fetten Kater gerade noch die Kurve bekommen habe und den obligatorischen Blog-Eintrag ueber mein kaergliches Restleben in die endlosen Weiten des Netzes pusten konnte, war ich dann auch schon ziemlich platt.
Vor allem aber hatte ich Durst und Schmerzen.
Ich sass also in der Kueche beim Abendessen, vor mir eine Packung Ibuprofen und ein angebrochenes Hefeweizen, und ueberlegte, ob ich den gleichen Fehler noch einmal machen sollte. Nein, ins Tigerauge wollte ich nicht mehr gehen. Keine Ahnung ob der Wirt mir die zerdepperte Leuchtreklame in Rechnung stellen wuerde oder nur die zwei Bier die ich sicherlich nicht bezahlt hatte.
Nach kurzer Ueberlegung, ob die Mischung, bestehend aus pinkfarbenen Schmerztabletten und pissgelbem, trueben Hopfenextrakt, auf Dauer vielleicht nicht doch ein wenig gewagt ist, entschied ich mich fuer ein klares ‘keine Ahnung’ und machte die Probe aufs Exempel.

Immerhin verfluechtigten sich die Schmerzen nach Einnahme der Tabletten und dieses trockene, nach Feuchtigkeit lechzende Gefuehl in meiner Kehle (vulgo: Brand) ging auf diese Art auch weg. Der Alkohol entspannte die vom Schreiben verkrampften Gehirnwindungen – und SEHR relaxt begab ich mich ins Wohnzimmer.
Auf WDR lief eine Aufzeichnung von Rock am Ring mit Guns’n’Roses – fein.
Lautstaerkeregler +++ fein!

Jetzt noch eine kuschelige Schonhaltung finden, bei der weder der gebrochene Arm noch die zertruemmerte Schulter all zu sehr belastet werden. Sehr fein. Nur der neue Gitarrist Ron Thal hatte manchmal ein wenig Probleme den richtigen Ton zu treffen. Aber Gitarristen haben eh alle einen an der Klatsche.

Als Probe war’s okay, als Exempel sei es jedoch nicht zur Nachahmung empfohlen und bestenfalls als schlechtes Beispiel zu gebrauchen. Das boese Erwachen (sic!) folgte auf dem Fusse.
Der Fernseher lief noch und Tochter Nummer zwei, die gerade Schulferien hat, ruettelte mich unsanft an der Schulter. Es fuehlte sich an, als waeren saemtliche Gelenksplitter in einen Eiscrusher geraten; dabei war weit und breit kein Martini in Sicht.
“BraaAhhaarghh Whaa????”, brabbelte ich.
“Du musst in die Klinik.” Tochter Nummer zwei blickte mich streng an, dann schaltete sie den Fernseher aus.
Leicht desorientiert waelzten sich ihre Worte vom Trommelfell ueber die Gehoerknoechelchen, quaelten sich durch eine total uebermuedete und verengte Eustachische Roehre in Richtung CPU.
Ihre Aussage schien Sinn zu machen, wenn mir auch nicht ganz klar war welchen. Ich musste in eine Klinik …

“Dein Kontrolltermin”, setzte sie noch hinzu.
“Scheisse, der Kontrolltermin”, entfuhr es mir. “Wie spaet ist es?”
“Gleich zehn.”
Etwas zu hastig versuchte ich aufzustehen, was a) schlecht war weil ich mich auf dem falschen Arm abstuetzte (es ist egal auf welchem Arm ich mich abstuetze, es tut immer schweinemaessig weh) und b) weil die Bogengaenge (gleich neben der verpennten Eustachischen Roehre) dem Gesetz der Traegheit gehorchten, und somit als Gleichgewichtsorgan vorerst noch nicht zur Verfuegung standen.
In einem Akt, der an akrobatischen Voodoozauber grenzt, manoevrierte ich meinen geschundenen Koerper vorbei am Tisch mit den leeren Flaschen und weiter durch den Flur ins Bad.
Tochter Nummer zwei folgte mir und bot sich an, mir behilflich zu sein. Da ich ohne fremde Hilfe nach wie vor weder Kleidung an- noch ausziehen kann, geschweige denn in der Lage bin, mit all den gebrochenen Knochen meine Haare in eine halbwegs geordnete Form zu bringen, nahm ich das Angebot dankbar an.

So fand ich mich – ohne eine einzige Tasse Kaffee – um halb elf im Bus wieder, der in erster Linie von einer Horde Pfadfinder auf Schwarzwaldtour belagert war. Der Anfuehrer, der aussah wie ein Idiot, der sich als Kind verkleidet hat, forderte einen seiner Schuetzlinge – der aussah wie ein Kind, das sich als Idiot verkleidet hat – auf, mir Platz zu machen.
Zu irgendwas muss dieser groteske Gipsverband ja gut sein, dachte ich und liess mich erschoepft in den frei gewordenen Sitz fallen; nicht jedoch ohne vorher die Textiloberflaeche auf Spuren von Eiscreme oder aehnlich klebrigen Gemeinheiten zu pruefen.

Der Bus polterte durch den stroemenden Regen, die krakeelenden Pfadfinder waren auch von ihrem Haeuptling nicht zu baendigen und ich war echt froh als ich in die Regionalbahn umsteigen konnte, die heute fast punktlich kam und mir so einen laengeren Aufenthalt im Regen ersparte. Man erinnere sich: ich kann aufgrund meines immobilen Zustands ausser meinem Bademantel nur Tragershirts anziehen. Fuer einen Trip durch den halben Landkreis Breisgau Hochschwarzwald waere ich mir im Bademantel etwas deplaziert vorgekommen, daher hatte ich keine nennenswerte Kleidung an und aufgrund der 12° C hier oben trotz der kurzen Wartezeit eine ausgepraegte Gaensehaut, als ich den Zug bestieg.

Zum x-ten Mal fragte ich mich, warum die Durchsagen des Lokfuehrers in einer Regionalbahn akustisch verstaendlicher sind, als in einem High-Tech-Airbus, doch letztlich wollte ich das heute nicht zu meinem Problem machen. Kurz vor dem Hauptbahnhof in Freiburg dann die letzte Durchsage: “Sehr verehrte Fahrgaeste, wir erreichen in wenigen Augenblicken Freiburg Hauptbahnhof und bitten alle Fahrgaeste in Fahrtrichtung rechts auszusteigen. Der Zug endet hier.”
Vom Grunde meines Magens stoesst es mir sauer auf.
Der Zug endet vorne an der Lok verdammt noch mal und hinten am letzten Wagen. Der Satz, ‘Der Zug endet hier‘, ergibt keinen Sinn!

Nur, wenn er am Arsch ist, dann verendet er hier, aber er endet nicht … doch wie gesagt, die Durchsagen wollte ich heute nicht zu meinem Problem machen.

Stattdessen beeilte ich mich, die Tram zum Klinikum zu erreichen. Es regnete in Stroemen und ich hoffte dass die Tram besser beheizt ist, als die Bahn. Hastig stuerzte ich die Treppen zur Linie 3 hinauf und waere oben beinahe ueber eine Hundeleine gestolpert, die eine Punkerin hinter sich her schleift. Am anderen Ende der Leine versuchte ein junger Schaeferhund in die entgegengesetzte Richtung zu ziehen und so ergab dieses Paerchen ein Hindernis, das nicht nur mir Probleme bereitete. Auch andere Passanten vollfuehrten schnelle Dreh- und Ausweichmanoever, die mich an jedem anderen Tag sicherlich belustigt haetten, nun jedoch mitnichten in der Lage waren mein Interesse (geschweige denn meinen Sinn fuer Humor) zu wecken.
Der Hund mochte mich und folgte mir ploetzlich aus nicht nachvollziehbaren Gruenden in die wartende Strassenbahn, wobei er sein offensichtlich betrunkenes Frauchen ueberforderte. Die stolperte in die Bahn, knickte mit dem rechten Knie ein und schlug laengs lang, bevor sie sich erbrach. Die Bahn fuhr los.
Der offensichtlich gut erzogene Hund, wollte seinen Lapsus wieder wett machen und begann, das Erbrochene aufzuschlabbern, was die uebrigen Fahrgaeste veranlasste, ihr Missfallen ueber diese Situation lautstark zum Ausdruck zu bringen.
Das waere an sich alles noch gar nicht schlimm gewesen. Das Schlimme war, dass aufgrund des saeuerlichen Geruchs, der sich nun ausbreitete, viele Menschen gleichzeitig die Fenster aufrissen und ich somit wieder im kalten Zug sass. Die Regentropfen, die eigentlich waagerecht gegenn die Scheibe fliegen und dort zerschellen sollten, prasselten auf meine zartrosa aufgestellten Gaensehauthueppelchen.
Ich gab auf und stieg an der naechsten Station aus. Dann wuerde ich halt die naechste Bahn nehmen.

Das Haltestellenhaeuschen bot keinen wirklichen Schutz gegen die Unbillen der Natur, trotzdem durchsuchte ich meine Tasche nach dem Zettel mit dem Termin und den Anweisungen der Aerzte. ‘Man muss immer professionell bleiben – gute Vorbereitung ist alles’, dachte ich waehrend ich mir den Regen aus der Stirn wischte.

Auf dem Zettel stand: HS Raum 9-11 – Datum: 11.8. 8:30 Uhr
Ich blickte auf meine Uhr: 11:15 Uhr. SHIT!
Dann warf ich einen Blick auf die elektronische Anzeigetafel, die normalerweise die Ankunft beziehungsweise Abfahrt der naechsten Tram ankuendigt. Normalerweise. Statt einer Uhrzeit lief jedoch eine Laufschrift ueber das Display und obwohl ich nun schon seit ueber einer Stunde wach war, dauerte es eine ganze Weile bis sich die kleinen, huschenden Leuchtkaefer in Buchstaben verwandelten und einen Sinn ergaben:

Aufgrund einer Demonstration in der Innenstand verkehren am 11.8. von 11:15 Uhr bis 12:00 Uhr keine Zuege der Linien 1,3,4 und 6.

‘Waere ja auch zu einfach gewesen’, dachte ich und machte mich zu Fuss auf den Weg. Den obligatorischen Hindernissen, wie beispielsweise ruecksichtslosen Fahrradfahrern, konnte ich meist erfolgreich, wenn auch wenig elegant, ausweichen. Kurz nach dem Ueberqueren einer roten Fussgaengerampel hoerte ich einmal hinter mir das haessliche Geraeusch von knitterndem Blech und berstenden Glas, das in der Regel einen Auffahrunfall begleitet – doch gehoere ich nicht zu den Menschen, die als Gaffer die Rettungskraefte behindern und ehrlich gesagt hat es sich auch nicht wirklich so angehoert, als waeren Menschen verletzt worden. Zumindest habe ich keine Schreie gehoert. Und als ich dann kurz darauf doch Schreie hoerte (“Da vorne laeuft er!” – oder so), war ich schon an der Abkuerzung durch die Martin Luther Kirche am Friedrich-Ebert-Platz angelangt, von deren Hinterausgang man direkt auf das Klinikgelaende kommt. Von hier aus war es nur noch ein Katzensprung bis zu einem unauffaelligen Seiteneingang in die Chirurgie.

Die altehrwuerdigen Hallen des Klinikums der Albert-Ludwigs-Universitaet Freiburg umfangen mich mit behaglicher Waerme. Wobei der Begriff ‘Halle’ fuer den dunklen Flur, den ich nun entlanghaste, zugegebenermassen etwas ueberzogen ist. Hier und da begegnet mir Reinigungspersonal oder ein Arzt, der fluesternd mit seiner Geliebten via Handy kommuniziert und sich verschaemt zur Seite dreht, waehrend ich ihn passiere. Schliesslich erreiche ich den Saal mit den abgewetzten Stuehlen vor den Behandlungszimmern.
Ein Blick auf meine Armbanduhr: 11:56 Uhr
Ein Blick auf den mittlerweile komplett durchnaessten Besuchszettel: Raum 9-11
Ein Blick auf die Tuer mit der Nummer 9: Sprechstunde Freitags von 8:00 – 10:00 Uhr
Okay, ich fasse mir ein Herz und klopfe.
Nach einiger Zeit oeffnet sich die Tuer und eine schrullige, aeltliche Dame mit einer bizarr geformten Nase und wallenden, schwarzen Locken streckt ihren Kopf heraus.
“Guten Tag”, beginne ich etwas ausser Atem und erklaere mein Anliegen. “Mein Name ist H., ich habe einen Termin und …”
Weiter komme ich nicht.

“S i e sind s e e e h r nass”, stellt die Dame gedehnt aber bestimmt fest, waehrend sie mich von oben bis unten mustert.
Irgendwie kann ich mich der Assoziation mit einer Szene aus der Rocky Horror-Picture-Show nicht erwehren, wo Brad und Janet am Schloss von Frank’n’Furter klopfen und Riff Raff die Tuere oeffnet …
Doch dann ertoent auch schon die vertraute Stimme von Dr. Krischak aus dem Hintergrund: “Ist das der Herr H.?”
Dr. Krischak reisst die Tuere auf und scheucht die Hexe mit einer Handbewegung in einen Seitenfluegel seiner Gemaecher. Mich bittet er herein und zieht einen Stuhl heran, auf dem ich Platz nehmen soll.
“Setzen sie sich”, fordert er mich auf und mustert mit leicht verdrossenem Blick die nasse Spur, die ich hinterlasse.
“Sind sie gut her gekommen?” fragt er.
‘DAS willst du nicht wirklich wissen’, denke ich und gehe auf die ohnehin rhetorisch gemeinte Frage gar nicht erst ein.

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Der Rest unterliegt der aerztlichen Schweigepflicht, weswegen ich ihn der geneigten Leserschaft erspare. Aber folgende Lektion moechte ich Euch nicht vorenthalten:

Wenn Deine Oma das naechste Mal jammert, weil Arztbesuche so anstrengend sind, dann nimm sie
a) ernst und
b) in den Arm um sie zu troesten.

P.S. Ich habe Dr. Krischak nicht den Finger abgebissen. Denn heute war irgendwie nicht mein Tag und ausserdem ist die Behandlung ja noch nicht abgeschlossen. Man soll sich ja bekanntlich das Beste bis zum Schluss aufheben.

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  1. Deleted says:

    Der Zug endet hier: Endstation hätte auch jeder Verstanden.
    Mein Blogfreund Trithemius, der auch Deiner ist, stolpert dauernd über solche Falschaussagen.
    Das Gehirn als CPU zu betiteln hat was.

    Ganz Vergessen: Gute Besserung 😳

  2. sha-mash says:

    “Der Zug endet hier” – Die sagen das immer im Zug – und ich geh dann vor lauter Wut mit den Fingernaegeln ueber das blanke Metall – was aber niemand hoert, weil das quietschen der Raeder genau gleich klingt.
    Bin halt ein IT-Mensch…
    -m*sh-