Nee, is’ kein Tippfehler und auch nicht die neue Rechtschreibung, an welcher ich weiterhin jegliche Teilnahme verweigere.
‘TIEGERAUGE’ (mit ‘ie’) ist die Leuchtreklame, bestehend aus zehn Neonbuchstaben, von der neuen Kneipe gegenueber, die seit einigen Wochen durch mein Schlafzimmerfenster scheint und mich daran erinnert, dass ich den Rolladen reparieren sollte. Wobei die Kneipe gar nicht so neu ist – nur Paechter und Name haben gewechselt.
Nun gehoere ich nicht wirklich zu den Kneipengaengern, weil die astronomischen Preise einerseits und das niveaulose Thekengelaber andererseits abschreckend genug sind um derartige Orte zu meiden, ausserdem ist schon der orthographische Fehler im Namen ein Affront fuer jeden Schreibschaffenden.
Nichtsdestotrotz kann ich zur Zeit aufgrund diverser Knochenbrueche weder den Rolladen reparieren noch Schlafen. Letzteres a) wegen der Schmerzen und b) wegen der Leuchtreklame.
Schon laenger war ich mit dem Gedanken schwanger gegangen, den neuen Paechter darauf anzusprechen, ob er nicht vielleicht ab 23 Uhr zumindest die Leuchtreklame abschalten koenne. Letzte Nacht, ich kam gerade von einer OP nach Hause und wollte nur meine Ruhe haben, beschloss ich dieses Vorhaben in die Tat umzusetzen. Wegen des Gipsmaterials am Koerper zog ich mir nur einen Bademantel ueber und hastete durch den stroemenden Regen auf die andere Strassenseite.
Dumpfes Gemurmel und vereinzeltes Lachen dringt durch die beschlagenen Scheiben der Pinte. Der Regen verhindert es, dass ich mein Vorhaben noch einmal ueberdenke. Schnell trete ich ein.
Die Gespraeche an den Tischen verstummen. Koepfe drehen sich mir zu. Kleine Schweinsaeuglein starren mich aus rotnasigen, aufgeschwemmten Alkoholikergesichtern an. Im Hintergrund laeuft leise und kaum vernehmbar Rod Stewart.
Zielstrebig bahne ich mir einen Weg Richtung Tresen waehrend mich die die Blicke der Anwesenden verfolgen.
Der Wirt – lange, schwarze Haare und unleserliche, verwaschene Tattoos auf den nackten Armen – stuetzt sich gelangweilt auf den Schanktisch und fragt mich: “Was kriegst Du?”
“‘Nen Foehn, wenn Du die Lampen nicht ausmachst”, entgegne ich frech.
Die Stille wird beklemmend und der Wirt reibt sich das Kinn waehrend er mich betrachtet als muesse er ueberlegen, ob man so jemanden wie mich ernst nehmen muss oder einfach zusammen mit einem Strauss Thymian in den Kochtopf stecken sollte.
Ploetzlich verzieht sich sein Gesicht zu einem Laecheln. “Arthur Dent will, dass ich die Lampen ausmache”, verkuendet er lauthals und der halbe Laden faengt an zu kichern.
“Es geht nur um die Neonbeleuchtung draussen ueber dem Eingang”, erwidere ich und versuche meiner bruechigen, vom Dormicum geschwaechten Stimme, einen festen Unterton zu geben. “Sie funzelt mir ins Schlafzimmer und ausserdem ist da ein ‘E’ zu viel”, fuege ich noch hinzu.
Der Wirt fixiert mich weiterhin mit verstaendnislosem Blick; irgendjemand im Hintergrund gackert aus nicht nachvollziehbaren Gruenden wie ein huehnerbegrippter Hahn und ein Geldspieler gibt aetzende Geraeusche von sich: Di du – di duuu – di dimm dada dumm.
Ich habe meine Kraefte ueberschaetzt. Die Medikamente kursieren noch in meinen Venen und kurz bevor mir schwindlig wird schaffe ich es, einen Barhocker heranzuziehen, den ich auch erfolgreich besteige. Dabei oeffnet sich der nur provisorisch zugezogene Baendel, der als Guertel meines Bademantels fungiert und ich sitze im Freien. Soll heissen, die schicken weissen OP-Struempfe – im Fachjargon Thrombose-Stockings genannt -, die ich noch eine Nacht lang tragen soll, zieren – fuer alle erkennbar – meine ansonsten nackten Beine, weil ich nur eine kurze Sporthose trage. Der hastige und ueberfluessige Versuch meinerseits, diesen Lapsus zu kaschieren fuehrt lediglich dazu, dass sich die Aufmerksamkeit der Leute auf meine weissbestrumpften Beine richtet. Irgendjemand sagt was von wegen ‘Transe’. Ich versuche, dem Blick des Wirts standzuhalten.
“Du bist vielleicht ein komischer Vogel”, meint der Wirt nach einer kurzen Pause und stellt mir unaufgefordert ein Bier hin.
Eigentlich wollte ich ja gar kein Bier trinken, sondern einfach nur schnell wieder verschwinden und endlich ins Bett und dann SCHLAFEN … Andererseits spuerte ich nun den Durst, weil ich den ganzen Tag ueber nichts trinken durfte und dieses Defizit noch nicht ausgleichen konnte. Darueber hinaus sagt man dem Hopfengetraenk eine gewisse wohltuende Wirkung nach – zumindest in Bezug auf Schlafstoerungen.
“Danke”, sage ich also artig und trinke ein paar Schlucke.
Vielleicht lags am Alkohol, vielleicht aber auch an den Restmedikamenten, jedenfalls schien mir der Wirt nun nicht mehr ganz so bedrohlich dreinzuschauen, als ich das Glas wieder abstelle.
“Also, wo ist dein Problem?”, fragt er.
“Das ‘E'”, beginne ich und spuere, wie die Feinjustage meiner Zunge den Dienst verweigert.
“Was ist mit dem ‘E’?” Der Wirt schaut mich nun wieder ernst an. Sehr ernst.
“Essisssuuviel!”
“?”
Ich versuche es noch einmal: “Ein ‘Eeee’ issuviel!”
“?”
Und noch mal: “TIGERAUGE ohne ‘IiiiEEE’!”, rufe ich vielleicht etwas zu laut.
Aus Gruenden, die ich jetzt im Nachhinein nicht mehr gaenzlich nachvollziehen kann, greife ich das vor mir stehende Glas und trinke es leer. Der Wirt stellt mir ein neues hin. “Echt? Ohne ‘IE’?”, erkundigt er sich.
“Yep”, lallt es aus meinem Mund nun schon deutlich selbstsicherer. “Tigeraugen sinnuur echt oooooohne ‘IE'”, erklaere ich.
“Stimmt”, bekundet ein Typ links von mir.
Gemurmel durchzieht die alkoholgeschwaengerte Luft.
Zuerst nur Gemuermel, dann zustimmendes Gemurmel.
Mein linker Nachbar bestellt zwei Tequila und besteht darauf, mit mir anzustossen. “Der Mann hat recht”, ruft er aus. “Das kam mir schon die ganze Zeit komisch vor. Komm wir trinken auf dein Wohl.”
“Aber nur, wenn er das ‘E’ ausmacht”, fordere ich und deute auf den Wirt.
“Genau!”, springt mir ein junger Mann von irgendwoher zuhilfe. “Nieder mit dem ‘E’!”
“Nieder mit dem ‘E’!”, echot mein Spender und trinkt seinen Tequila auf einen Zug leer; anschliessend lutscht er genuesslich an seiner Zitrone.
“Nieder mit dem ‘E’!”, entfaehrt es nun sogar mir und waehrend ich den Tequila trinke bemerke ich wie hinter mir einige Leute die Kneipe verlassen. Vorsichtig, gaaanz vorsichtig drehe ich mich auf dem Barhocker herum. Die Eingangstuere steht sperrangelweit offen und ein gutes Dutzend Gaeste debattiert lautstark draussen ueber das ‘E’.
“Aus-Schal-Ten!”, ruft jemand. Dann mehrere Leute gleichzeitig: “Aus-Schal-Ten!” “Aus-Schal-Ten!”
“Hey, verflixt noch mal, was soll denn die Scheisse”, entfaehrt es dem Wirt.
Doch die Situation geraet irgendwie ausser Kontrolle: “Nie-Der-Mit-Dem-‘E'” skandiert der Mob draussen.
“Ich glaub, ich dreh’ besser die Sicherung raus”, murmelt der Wirt, wirft sein Handtuch auf den Tresen und macht sich am Sicherungskasten zu schaffen. Doch zu spaet. Im gleichen Moment hoert man das Splittern von Glas. Draussen stieben Funken und die Meute groehlt. Der Wirt vergisst sein Vorhaben und stuerzt nun ebenfalls zur Tuer hinaus, um den Schaden zu begutachten. Auch die restlichen Gaeste stroemen aus der Wirtschaft. Jeder will wissen, was passiert ist.
“Das ‘E’ ist tot”, ruft jemand. Einige Leute klatschen Beifall. Die meisten lachen.
“Er hat genau das ‘E’ getroffen!”, schreit jemand anderes und klopft sich auf die Schenkel.
“Ja”, entgegnet ein Dritter kichernd, “aber das falsche ‘E’. [Muahuahua]”
Ich hasse, es, wenn ich der letzte Gast in einer Kneipe bin, also steige ich vorsichtig – gaaanz vorsichtig – von meinem Hocker, binde den Bademantel sicherheitshalber noch einmal zu und schlurfe ebenfalls nach draussen.
Die Beleuchtung ueber dem Eingang ist erloschen, bunte Glassplitter auf dem Boden zeugen vom Kollateralschaden.
“Uuups”, entfaehrt es mir, “das haette auch ins Auge gehen koennen”.
Gelaechter.
“Ins Tigerauge”, groehlt jemand und klopft mir auf die Schulter bevor mir die frische Luft den Rest gibt.
………
Sorry, aber an mehr kann ich mich wirklich nicht erinnern. Doch bin ich froh endlich wieder einmal richtig geschlafen zu haben, wenn ich auch nicht mehr weiss, wie ich nach Hause gekommen bin. Wenn ich jetzt aus dem Fenster schaue, sehe ich den Eingang von der Kneipe gegenueber und darueber haengt ein Schild: …GERA…
Als wuerde jemand seine Kneipe nach einer Stadt in Thueringen benennen – tse…
hit any key 2 continue
Hi mash,
habe gestern abend Deinen Eintag gelesen und muß sagen, ich habe sehr gelacht. Außerdem ist Dein Schreibstil wirklich klasse.
Hoffe nur der Kneipenbesitzer läßt Dich auch weiterhin ein Bierchen bei ihm trinken.
Gruß
Lesterschwein Sabine
Weiss nicht ob das so gut ist, da noch mal hinzugehen. Kann mich jedenfalls nicht erinnern bezahlt zu haben :*)
-m*sh-
Hi! Nice that you wrote! I’m translating an article about the importance of geology in archaeology…that’s it… maybe you even could me help me with some expertise!
lol, Zechprelle widerwillen, oder wie jetzt :))
Nix Zechprelle. Das war hoehere Gewalt und heute ist da drueben nix los … aber okay, ich war heute auch korrekt gekleidet 🙂
-m*sh-Lieber Arthur (darf ich Dich so nennen?) oder doch lieber ***sha-mash***
Mich als Leser hast Du durch dein schreiberisches können mit Ti(e)gerauge überzeugt.
Ich war in dieser Kneipe, sah den Wirt, auch das gebären der Berufssäufer, ich konnte sogar Deine Feinjustierung deiner Zunge nachempfinden als Du versucht hast den grimmig drein schauendem Wirt davon zu überzeugen das Tiegerauge nicht mit ie geschrieben wird.
Offensichtlich war dem Wirt auch nicht sonderlich wohl in seiner Haut, nachdem er Dir ein Bier unaufgefordert hingestellt hatte, wartete er ab ob Du nicht bereit bist zu randalieren, und gab sich selbst etwas Bedenkzeit wie nun mit Dir zu Händeln ist.
Denn- so ungefährlich siehst Du auf dem ersten Blick ja auch nicht aus, kenne auch das Bildnis von Dir wo Du beim offensichtlichen Lachanfall abgelichtet wurdest.
Als sich der Mob anschließend nach draußen begibt um das e zu töten, ist Hammer mäßig von Dir umschrieben worden, ich lache jetzt noch.
Die Krönung: Ist GERA
Vielen Dank für diese Herrliche Story, das ist Filmreif.
Guten Abend!
Bernhard
Danke fuer dieses ausfuehrliche Kompliment.
Da ich den Beitrag jedoch unter Drogeneinfluss (so eine OP ist etwas widerwaertiges) geschrieben habe, muss ich das Kompliment wohl an die Pharmaindustrie weiterreichen.
🙂
BTW, Arthur ist komplett falsch und ich habe jetzt ernsthaft ueberlegt, wie Du da drauf kommst. Nenn mich einfach mash – das tun (fast) alle.
-m*sh-Stand im Text, deshalb.
Bin gerade bei “Kontrolltermin” sehr fesselnd.
LG: Bernhard
Aua!
[Hat bei mir nun einen Lachanfall ausgeloest]
Zur Erlaeuterung:
Es gibt eine legendaere fuenfbaendige Trilogie vom Autor “Douglas Noel Adams”:
The Hitchhikers Guide To The Galaxy (dt.: Per Anhalter durch die Galaxis).
Der Protagonist reist aus Gruenden, die ich jetzt und hier nicht ausfuehren kann, zumindest in den ersten drei Baenden lediglich mit einem Bademantel bekleidet durch Raum und Zeit einmal quer durch das Universum.
Das ist Kult und da ich im Bademantel unterwegs war, hat mich der Wirt so angesprochen.
Aber okay, das konntest du ja nicht wissen, wenn du es nicht gelesen hast.
Schoenen Abend noch
-m*sh-Aha, der Wirt ein Belesener Mensch- hab verstanden.
LG: Bernhard
Ich denke, bei den Menschen unter 50 wird man es eher schwer haben, jemanden zu finden, der diese Trilogie nicht kennt.
Du bist entschuldigt – die Gnade der fruehen Geburt 🙂
-m*sh-Nachtrag:
OP in Deinem Fall ganz sicher ein Übel.
Ich lag auch schon auf dem OP Tisch, eher harmlos im Verhältnis zu deinem Fall.
Das Geile nach der OP: Schlafen auf Kommando, konnte ich Gedanklich selber entscheiden.
Ach herrlich, hätt ich gern gesehn!
Hast Du jetzt erst gesehen, den Artikel?? Und so was nennt sich Freundin … tse
-m*sh-Verzeih bitte, ich komm hier gar net mehr mit. Aber wie du siehst ich hole es nach, wenn auch nicht sofort. Viel Job im Moment. Bussi und gut?
Bussi. Friede!
-m*sh-